.:o:. Maborganidaraa Gadaraa. .:o:.
Sandy hat sich die musikalischen Fußspuren der australischen Aboriginés - die Songlines - angesehen und angehört. Für die Ureinwohner des Kontinents bildeten ihre Lieder früher die wichtigste Überlebenshilfe. Sie beschrieben nicht nur auf geheimnisvolle Weise das Land wie eine imaginäre Landkarte, sondern enthielten auch Wissen über Religion, Flora, Fauna und Mythen der Aboriginés, die durch ihre Songs "die Welt ins Leben rufen".
„wangangura dhanayangala bangat jimala“

Ein schwarzer Australischer Ureinwohner sitzt auf dem Boden und singt ein Lied, dass an Indianische Kriegsgesänge erinnert. Neben ihm ahmt ein weiß bemalter Aboriginé mit einem Didgeridoo den Laut eines Dingos nach. Andere Aboriginés schlagen Stöcke im Takt gegeneinander. Das Ganze ist Teil eines öffentlichen Corroborrees, bei dem das älteste Volk Australiens "das Land ins Leben singt." Aber was bedeutet das eigentlich?

Aboriginé Musik ist meist gesungene Musik. Die Melodien bestehen fast ausschließlich aus einer Reihe von Tonfolgen von einem starken, hohen Ton abwärts zu einem leisen, langgezogenen oder wiederholten tiefen Ton. Diesem folgen energische Sprünge zu noch höheren oder dazwischen liegenden Tönen mit darauffolgenden Abstiegen.

Ständige und kunstvolle Ornamentationen verwischen oft die verschiedenen Tonhöhen der Abwärtsfolgen durch Schleier und Mikro-Triller. Polyphonie gibt es in wenigen Gegenden. Die Musik der Aboriginés wurde seit der Entdeckung des Kontinents 150 Jahre lang fast völlig unbeachtet gelassen und als naiv und kulturlos mißverstanden. Leider sind während dieser Zeit viele traditionelle Zeremonien unwiederbringlich verloren gegangen.

Einen guten Überblick über die faszinierenden Gesänge der australischen Ureinwohner bietet die CD „Traditional Aboriginal Music“ - Sounds from the Bush (ARC). Sie präsentiert eine Sammlung von Musik australischer Ureinwohner mehrerer Stämme und verschiedener Stile und Arten. Enthalten sind Songs des Lardil-Volkes von Mornington Island. Andere Songs stammen von den australischen Regenwald-Völkern und werden in verschiedenen Dialekten gesungen. Diese Lieder wurden von Dixon und Koch aufgezeichnet und gesammelt. Es handelt sich um Gama- und Marrga Lieder, die bei Corroborrees - Tanzzeremonien mit spirituellen Gesängen - aufgeführt werden.

Die Lieder handeln von alltäglichen Dingen, wie dem Verhalten eines Vogels, eines anderen Tieres oder von den komischen Possen der weißen Leute. Jangala, Burran und Gaynil zählen zu den Liebesliedern und handeln von Liebe, Eifersucht, Sorge oder Rache. Von den meisten Liedern glaubt man, daß sie von Geistern verbreitet wurden und es gibt wenige Lieder, die keine religiösen Inhalte haben. Diese Inhalte werden „im Traum gefunden“, während rein weltliche Lieder „mit dem Kopf gemacht“ sind. Es gibt oft mehrere verschiedenen Rhythmen für einen Text.

In allen Religionen schreibt man Liedern einen mächtigen Einfluß auf außermusikalische Begebenheiten zu. Es gibt Hinweise darauf, daß in allen australischen Gruppen dem Gesang die Eigenschaft zugeschrieben wird, übernatürliche Kräfte aus dem Boden auf die Vortragenden zu übertragen. Diese Kräfte waren vor Urzeiten von den heiligen Vorfahren im Boden hinterlassen worden. Nur durch die richtige und gleichzeitige Präsentation aller technischen Eigenheiten des Liedes werden den Vortragenden diese Kräfte zugänglich.

Da diese Macht für Gutes und Böses verwendet werden kann, gibt es eine strenge Kontrolle beim Lehren dieser machtvollen Lieder. Es herrscht ein System der Auslese, das dafür sorgt, daß nur die ältesten und weisesten Männer diese Gesänge kennen. Die Kinder ahmen die Lieder und Tänze im Spiel nach und erfinden ähnliche, eigenen Lieder.

Währen des Übergangs von der Kindheit zum Erwachsenenalter - der Periode der Initiierung - werden die Jungen aufgefordert, das Erlernen der Lieder ernster zu nehmen und sie beginnen, die kultischen Gesänge in Abgeschlossenheit vom Stamm und unter der Aufsicht von älteren Männern auswendig zu lernen. Alle Jungen lernen bereits im frühen Alter, das Didgeridoo zu spielen. Richtige Virtuosen werden hoch geschätzt und anerkannt. Sie beherrschen eine perfekte Zungen- und Lippentechnik, können ihre Atmung ausgezeichnet kontrollieren und haben ein außerordentliches musikalisches Gedächtnis.

In der uraustralischen Musik gibt es mehr als 30 verschiedene Arten von Instrumenten. Die verwendeten Materialien sind hauptsächlich Holz, Rinde, Bambus, Samenkapseln, Fischhäute oder Reptilienhaut. Die Bearbeitung der Materialien besteht aus wenig mehr als Glätten und Schnitzen, speziell von Holzstöcken, die als Schlaginstrumente verwendet werden.

Das Didgeridoo ist das einzige Blasinstrument. Es dient als Rhythmusinstrument und kommt im südlichen Teil Australiens überhaupt nicht vor. In vielen Riten repräsentiert das Didgeridoo „yulunggur“, die Regenbogenschlange. Das Instrument wird in der alten Tradition von Männern gespielt und begleitet zusammen mit Klopfstöcken Gesänge und Tänze, hauptsächlich in offenen, nichtgeheimen, Zeremonien. Es wird zu Clangesängen, Lager-Unterhaltungsliedern, „privaten“ Liedern und sogar zu Kinderliedern gespielt.

Mit dem Didgeridoo lassen sich verschiedene Stimmungen ausdrücken, von langsamen und eindrucksvollen Stimmungen mit oft unwiderstehlicher Eindruckskraft bis hin zu fröhlichen, sogar ausgelassenen Stimmungen. All dies wird den Tänzern, Sängern und dem Publikum durch das Instrument auf geschickte Art mitgeteilt.

Tänze, an denen Frauen teilnehmen, sind sehr selten. In einigen größeren Zeremonien tanzen Frauen gleichzeitig mit Männern, jedoch oft nicht auf dem gleichen Stück Boden. Bei einigen Tänzen, bei denen die Hauptbeteiligung den Männern zufällt, bleiben die Tänzerinnen im Hintergrund, bewegen graziös Arme und Beine und wiegen sich hin und her wie Halme im Wind.

Die Methoden des Unterrichts und der Übermittlung dieser Lieder und Tänze richten sich meist nach der Art oder Kategorie der einzelnen Lieder. Corroborrees, die offen und regelmäßig in Camps aufgeführt werden, können leicht von Kindern aufgenommen werden. Die Themen der Lieder kehren in der Choreographie der Tänze wieder.

Die Zeit, von der man in diesen musikalischen Überlieferungen erzählt, bezeichnen die australischen Ureinwohner als Dreamtime. Diese Traumzeit ist mit mytholigischen Wesen - Dreamings - bevölkert, die die Gestalt von Tieren, Pflanzen und sogar Himmelskörpern haben. Jeder Clan, jeder Stamm, hat seine Dreamings, wie beispielsweise Wild Honey Dreaming, Water Hole Dreaming oder Stringy Bark Dreaming. Dreamings sind quasi die Prototypen der Tier- und Pflanzenarten und anderer Dinge.

Man singt die Dreamings, die zum eigenen Land gehören. Auch die Verwandten der benachbarten Clans können diese Dreamings des jeweiligen Nachbarlandes singen und kennen dadurch ihr Land, weil es in den Liedern beschrieben ist. Die Tanzformen stellen nicht nur die Schöpfungsberichte eines Clans vor, sondern auch das Verhalten der Tiere, als deren Prototypen diese Wesen erscheinen. So vermitteln Tänze und Gesänge Kenntnisse über ein Stück Land und die natürlichen Arten, die dort vorkommen.

Die Dreamings haben im Glauben der Aboriginés die Welt ins Leben gesungen. In den Mythen sind ihre Wege beschrieben und die dazugehörigen Gesänge betonen die natürlichen Merkmale der Dreamings, die mit ihnen reisten und zu den Prototypen von Tieren und Pflanzen wurden. So hatte Djareware, der „erste wilde Honig“, eine Reihe von Gefolgsleuten dabei, die jeder, der zu Djarewares Stamm gehört, auch singen kann, beispielsweise Gundui - den Eukalyptusbaum. Jeder totemistische Ahne hat auf seiner Reise durch das Land eine Spur aus Wörtern und Noten neben seinen Fußspuren ausgestreut: Die Songlines oder Traumpfade. In den Liedern finden man örtliche und zeitliche Aspekte, Hinweise auf Riten und Religion, Informationen zu Flora und Fauna eines Gebietes, Jahreszeiten, Lebenszyklen, praktisches Wissen und vieles mehr. Neben Malerei und Tanz schlagen die Songs der metapherhaften Dreamings eine Brücke zwischen Religion, Wissen, und spiritueller Verbundenheit mit der Natur. Die Aboriginés kennen keine Schrift und tradieren ihr Wissen daher durch ihre Erzählungen, Gesänge und Tänze, die für sie lebenswichtig sind.

Die Traumpfade bilden gleichzeitig auch eine Art Verkehrswege zwischen weiter auseinanderliegenden Stämmen im ganzen Land. Ein Lied ist gleichzeitig Karte und Kompaß. Wenn man ein Lied kannte, konnte man seinen Weg durch das Land finden. Entlang eines Traumpfades fand ein Reisender immer Menschen, die seinen Traum teilten und seine Brüder waren. Menschen, von denen er Gastfreundschaft erwarten konnte.

Theorietisch kann ganz Australien wie eine Partitur gelesen werden. Es gibt kaum einen Felsen oder einen Bach im Land, der nicht gesungen werden konnte oder gesungen worden war. Überall im Busch kann man auf irgendeine Stelle zeigen und einen Aboriginé an seiner Seite fragen: Was ist das für eine Geschichte. Und er wird antworten: Känguruh oder Wellensittich oder Eidechse, je nachdem, welcher Ahne diesen Weg gegangen ist. Die Entfernung zwischen zwei heiligen Stätten kann als Abschnitt eines Liedes gemessen werden. Ein Mann, der auf einen Walkabout ging, machte eine rituelle Reise durch eine vollkommene Welt, die zu erhalten sein größtes Ziel war. In seinem Glauben existiert das Land zunächst als Vorstellung in seinem Kopf und erst durch das Singen beginnt es zu existieren.

Songlines sind auch Handelsstraßen der Aboriginés gewesen. Die Menschen taten nichts lieber, als nützliche oder unnütze Dinge zu tauschen. Der Hauptgegenstand des Tauschens sind die Lieder und nicht die Dinge gewesen. Der Handel mit Dingen ist eine Begleiterscheinung des Handels mit Liedern. Ein Song brachte demnach Frieden, da Handel mit Liedern Freundschaft und Zusammenarbeit bedeutete.

Bevor die Weißen kamen, war niemand in Australien ohne Land, denn jeder erbte als seinen privaten Besitz ein Stück vom Lied des Ahnen und ein Stück von dem Land, über das das Lied führte. Die Strophen eines Menschen waren die Besitzurkunde für sein Territorium. Er konnte sie an andere ausleihen, aber niemals verkaufen oder loswerden. Bei einem Corroborree an einem Zeremonienplatz konnten vier verschiedene totemistische Clans von verschiedenen Stämmen anwesend sein, die allesamt untereinander Lieder, Tänze, Söhne und Töchter austauschten und sich gegenseitig Wegerechte garantierten.

Im Laufe seines Lebens erwarb der Aborigoné rituelles Wissen, indem er seine Lied-Karte vergrößerte. Er erweiterte seine Möglichkeiten und erforschte die Welt mit Hilfe eines Liedes. Jeder Liederzyklus überspringt alle Sprachbarrieren, ohne Rücksicht auf Stämme und Grenzen. Ein Traumpfad kann im Nordwesten in der Nähe von Broome beginnen, sich durch zwanzig oder mehr Sprachen schlängeln und schließlich bei Adelaine ans Meer gelangen.

Und doch ist es immer dasselbe Lied. Manche Aboriginés glauben, dass sie ein Lied an seinem Geschmack oder Geruch erkennen können, womit sie die Melodie meinen. Eine Melodie bleibt immer dieselbe, von den ersten Takten bis zum Finale. Ein junger Mann auf Buschwanderung kann seinen Weg quer durch Australien singen, vorausgesetzt, er kennt die richtige Melodie.

Da gibt es zum Beispiel das Stammesgebiet der Aranda in Zentralaustralien. Wenn man davon ausging, dass es sechshundert Träume gab, die sich in das Gebiet hinein und sich aus ihm hinauswoben, bedeutete das zwölfhundert an seinem Perimeter verstreute „Übergabestellen“. Jeder Halt war von einem Ahnen in der Traumzeit in seine unveränderliche Position gesungen worden. Letzten Endes ähnelt dieses System dem Gesang der Vögel. Auch Vögel singen ihre territorialen Grenzen.

Neben seinem leiblichen Vater gab es eine Art paralleler Vaterschaft, welche die Seele mit einer bestimmten Stelle in der Landschaft verband. Jeder Ahne hatte, so glaubt man, während er seinen Weg durch das Land sang, eine Spur von „Lebenszellen“ oder „Geisterkindern“ an der Linie seiner Fußspuren hinterlassen. Die erste Regung eines Babys entspricht dem Augenblick der „geistigen Empfängnis“, bei der ein unter der Erde schlummerndes „Geisterkind“ den Fötus mit Gesang schwängert. Die Ältsten interpretieren die Position in der Landschaft, an der dies geschehen ist und bestimmen, welcher Ahne diesen Weg gegangen ist und welche Strophen in den Besitz des Kindes übergehen werden. Damit wird auch seine Tschuringa, seine Lebenstafel, gekennzeichnet.

Die meisten Stämme spachen die Sprache ihrer unmittelbaren Nachbarn, daher gab es keine Verständnisschwierigkeiten über eine Grenze hinweg. Es ist jedoch ein großes Geheimnis, wie ein Mann vom Stamm A, der an einem Ende einer Songline lebte, den Stamm Q ein paar Takte singen hören konnte und, ohne ein Wort von Qs Sprache zu kennen, genau wußte, welcher Landstrich gesungen wurde.

Einige ältere Aboriginés kennen die Lieder eines tausend Meilen entfernten Stammes, ohne je dort gewesen zu sein. Dies ist dadurch zu erklären, dass er die Melodie ihrer Lieder kannte, ähnlich wie wir beispielsweise die Mondschein-Sonate auf Anhieb erkennen. Der Sinn der Wörter blieb ihm zwar verschlossen, aber er würde sehr aufmerksam die melodische Struktur verfolgen. Und dann würde er sich plötzlich im Einklang fühlen und imstande sein, das Lied mit seinen eigenen Wörtern zu übersingen. Niemand weiß genau, wie das funktioniert. Manche Leute meinen, es sei Telepathie.

Ungeachtet der Wörter scheint auch die melodische Kontur des Liedes die Natur der Landschaft zu beschreiben, durch die das Lied führt. Wenn also ein Eidenchsen-Mann sich über die Salzpfanne des Eyre-Sees schleppt, kann man eine Folge langgezogener Halbtöne erwarten. Wenn er die Hänge der MacDonnell-Kette entlangkriecht, singt er eine Reihe von Arpeggios und Glissandos. Bestimmte Tonfolgen und Kombinationen musikalischer Noten beschreiben offensichtlich die Taten der Füße des Ahnen, geben einen kartographischen Hinweis. Musik ist eine Datenbank, die den Aboriginés half, ihren Weg durch die Welt zu finden.

Auch Australien Autorin Morgan Marlo ("Traumfänger") hat die Liebe und Verbundenheit der Aborigininés zur Musik in ihren Erzählungen aufgegriffen, indem sie in "Traumreisende" die zehn Gebote der Aboriginés auflistet und eines ausschließlich der Musik widmet: 1. Du sollst deiner eigenen Kreativität Ausdruck verleihen. 2. Erkenne, dass du Verantwortung trägst. 3. Vor deiner Geburt hast du eingewilligt, anderen zu helfen. 4. Du sollst emotionale Reife erlangen. 5. Du sollst unterhaltsam sein. 6. Du sollst ein guter Verwalter deiner Energie sein. 7. Du sollst die Musik geniessen. 8. Du sollst nach Weisheit streben. 9. Du sollst Selbstdisziplin lernen. 10. Du sollst beobachten, ohne zu urteilen. Bleibt zu hoffen, dass die Musik auch in unserer Kultur als Träger von Wissen, Sinn und Moral ihren Platz behalten wird.

Quellen und CDs:
http://www.didgeridoo-lexikon.de
Ad Borsboom: Mythen und Spiritualität der Aboriginés
Bruce Chatwin: The Songlines / Traumpfade
Dirk Wegner: Australien
Morgan Marlo: Traumfänger + Traumreisende
Traditional Aboriginal Music - Songs from the bush (ARC)

Text und Artwork: Sandra Roth http://www.8ung.at/red.sandy

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