.:o:. Top Ten Time .:o:.
Zu Beginn des Jahres hat www.klangnetz.de die ersten offiziellen Klangnetz Jahrescharts ermittelt. Für Sandy Grund genug, einmal nachzuforschen, wo und wann die Charts eigentlich entstanden sind und wie sie innerhalb der deutschen Medienlandschaft das Bild prägen – Charts gab´s schliesslich schon lange vor der legendären ZDF Hitparade mit Dieter Thomas Heck und Viktor Worms. In den Klangnetz Jahrescharts belegten übrigens Limp Bizkit mit „Behind Blue Eyes“ den ersten Platz der besten Hits des Jahres 2004. Max´s Grand Prix Song „Can't Wait Until Tonight“ wurde zweiter und den dritten Platz teilten sich U2 mit „Vertigo“, Rammstein mit „Amerka“, Juli mit „Perfekte Welle“ und Silbermond mit den Titeln „Symphonie“ und „Durch die Nacht“. Die meistverkauften Singles des Jahres 2004 waren nach Media Control zu unserem Schrecken ;-) übrigens „Dragostea Din Tei“ von O-Zone, „Lebt denn dr alte Holzmichl noch?“ von De Radfichten und „Yeah!“ von Usher, Lil' John & Ludacris.
"Hits für Otto Normalendverbraucher!!?"

Ein Großteil der Jugendlichen verfolgt gelegentlich bis regelmässig die Charts in Hörfunk und TV. Dahinter steckt mehr, als man vermuten möchte: Die Charts besitzen eine "sozial-integrative Funktion". Durch die Kenntnis bestimmter Songs, Stile, Interpreten und Szenen wird ihnen der Kontakt zu anderen Jugendlichen erleichtert. Geschmäcker und ihre Demonstration in der Öffentlichkeit entwickeln sich zu Gruppennormen, Werten und Symbolen der Zugehörigkeit unter jungen Menschen. Das Hauptaugenmerk der Musik-Redakteure in unseren Radiosendern liegt dabei auf den Single-Bestseller-Listen aus dem englischsprachigen Raum, die den Verkauf von Tonträgern in Deutschland sehr stark beeinflussen. Der amerikanische Markt ist nicht nur der mit Abstand größte Tonträgermarkt, sondern auch der größte Musikproduzent der Welt. Im anglo-amerikanischen Bereich liegen die Wurzeln der Popmusik. Der Blick auf diesen Markt gibt Aufschluss darüber, welche Songs auch hier bei uns in Deutschland Verkaufschancen haben. Die deutsche Hitparade hat weltweit gesehen nur eine ergänzend bestätigende Funktion. Sie hinkt mit Ausnahme der deutschen Titel meist hinterher und besteht zum größten Teil aus Produkten aus England oder Amerka.

Für die US-amerikanischen Medien werden die vom Musikmagazin „Billboard“ veröffentlichten Charts verwendet. Billboard begann als erstes Musikmagazin 1940 mit der Veröffentlichung von Chartplatzierungen. Die Redakteure verwenden seit damals die Hot 100 Single-Auflistung. Daneben weist Billboard noch zahlreiche Spezialsparten wie Country oder Gospel auf. Die wöchentliche britische Top-Bestseller-Auswertung wird seit 1983 vom Gallup-Institut auf der Basis von 440 repräsentativ ausgewählten Tonträger-Verkaufstätten für die BPI (British Phonographic Industry) erhoben und im Musikmagazin „Music Week“ publiziert. Die deutschen Charts werden seit 1977 im Auftrag der Phonographischen Wirtschaft von Media Control ermittelt und in der Zeitschrift „Der Musikmarkt“ veröffentlicht. Auch sie basieren auf der Zahl der Tonträgerverkäufe an Endverbraucher.

Der Radiosender SWR3 besitzt Bücher und Archive, in denen die Chartlisten der letzten Jahrzehnte enthalten sind. Auch in vielen Büchern zur Geschichte populärer Musik gibt es solche Listen. Unter www.hit1.de gibt’s Charts aus allen möglichen Ländern und Sparten und eine Charts-Chronik.

Die von Programm-Machern und -Verantwortlichen selbst vorgebrachten Bedenken zum tatsächlichen Aussagegehalt der Charts wenden sich vornehmlich gegen die Auffassung, dass die Charts einen unverfälschten und vollständigen Aufschluss über Musikvorlieben auf der Basis von Kaufentscheidungen erlauben. Der Einwand besteht zurecht: Die Personen, die ihre Musikpräferenzen durch den Kauf von Tonträgern ausdrücken, können nicht mit dem Publikum beispielsweise eines Radiosenders und dessen Musikgeschmack gleichgesetzt werden.

Durch die Auswahl der Händler und die Käuflichkeit von Sendezeit im Rundfunk bestehen direkte Einflussmöglichkeiten der Musikindustrie. Auch die Aussagen der befragten Händler müssen unter dem Druck der Vertriebsfirmen nicht unbedingt immer mit der real verkauften Zahl der Tonträger übereinstimmen. In den USA ist eine Manipulationsmöglichkeit der Billboard-Charts schon allein dadurch gegeben, dass in ihre Erstellung ein gewisser, aber unbekannter Anteil von Radio-Airplay mit einfliesst. Titel können allein durch die tägliche Ausstrahlung im Radio bis auf Platz 20 der Billboard-Charts gekommen sein, ohne dass eine einzige Platte verkauft wurde. Das dürfte auch die Künstler freuen, die vom Gesetzesbeschluss zur Radioquote für deutsche Musik betroffen sind, denn auch die Präsenz im Airplay deutscher Radiosender ist verkaufsförderlich.

Da die Charts wöchentlich erscheinen, kann man an ihnen zwar sich schnell verändernde Moden verfolgen und auch eine gewisse Popularität bestimmter Musiktitel ablesen, aber man muss hier beachten, dass die kaufkräftige Masse nicht zwangsläufig den Geschmack der Leute teilt, die sich etwas intensiver mit Musik beschäftigen oder für deren Verbreitung in Radio und Fernsehen zuständig sind. Trotzdem gilt: Da in vielen Radioredaktionen die Charts den Ton angeben, verbreiten sich die betreffenden Titel rasend schnell auf dem Medien- und Freizeitmarkt. Mit anderen Worten: Wer verkauft, wird gehört - wer gehört wird, verkauft sich gut. Und wer in den Top Ten gelandet ist, der bleibt meist auch eine Weile dort vertreten.

Die Zusammensetzung der Charts wird also nicht durch den autonomen Geschmack von Radiohörern bestimmt, sondern unterliegt starken Beeinflussungen durch das Zusammenspiel aller an der Herstellung und Verbreitung von Tonträgern beteiligten Marktkräfte. Erst nach dem Eintritt eines Titels in die Top 75 beginnt der Tonträgermarkt, grosszügiger zu ordnen, bei Platz 50 bis 30 kommen die Kaufhäuser, Supermärkte und Automatenhersteller hinzu, nach der Platzierung in den Top 20 werden die Titel verstärkt im Hörfunk eingesetzt und ab Platz zehn präsentiert das Fernsehen ausserhalb der Musiksender die Titel in CD-Tipps oder durch Liveauftritte der Künstler in Chartshows und anderen Sendungen. Jede Stufe dieser Leiter bedeutet verstärkten Umsatz. Die Promomaschinerie tut ihr übriges dazu. Allein die nach der Platzierung eines Titels mit steigender Tendenz einsetzende Hitmaschinerie sorgt in den allermeisten Fällen dafür, dass wirkliche Verkaufshits entstehen, auch wenn natürlich und glücklicherweise längst nicht alle von der Industrie erwünschten Titel auf diese Weise erfolgreich sind. Doch werden die deutschen Charts zu 85 Prozent von den grössten Vertriebsfirmen beherrscht. Hier spielen natürlich auch die Musikfachblätter, die Musiksender und ganz allgemein die Werbung eine Rolle.

Aus der Rangfolge der Charts-Positionen ist aufgrund der oft geringen Unterschiede in den Verkaufszahlen keine verlässliche Hierarchie der Popularität ablesbar. Besonders in den unteren Rängen genügen oft nur kleinere Differenzen bei den Verkäufen, damit sich Titel deutlich verbessern oder verschlechtern. Die schwankenden Verkaufszahlen im Verlauf eines Jahres und im Vergleich zwischen den Jahren machen einen Popularitäts-Vergleich zwischen verschiedenen Titeln unmöglich. So bedarf es im Sommer weit weniger verkaufter Tonträger als vor Weihnachten, um eine hohe Plazierung zu erreichen. Zudem zeigen Charts allein den punktuellen Erfolg eines Titels innerhalb eines bestimmten Zeitraumes. Manche Titel haben sich jedoch über Jahre hinweg gleichmässig gut verkauft und sind zu wirklichen aber heimlichen Hits geworden, da sie niemals die Schwelle für den Eintritt in die Charts überschritten haben.

Single-Charts spiegeln das Kaufverhalten sehr spezieller Bevölkerungsgruppen wieder. Dieser Teil des CD-Marktes wird von Jugendlichen bestimmt. Schon Ende der 60er Jahre wurden in der Bundesrepublik Deutschland 88 Prozent aller Schallplatten von Jugendlichen unter fünfundzwanzig Jahren gekauft. Nur zehn Prozent der Bevölkerung kaufte 1986 noch Singles und zwei Prozent der Bevölkerung tätigten fast 60 Prozent der Käufe. Die Hälfte aller Käufe machen Jugendliche unter zwanzig Jahren, weitere 25 Prozent werden von 20 bis 30jährigen gemacht. Carl Mahlmann von der EMI berichtete bereits 1989 auf der Popkomm, dass sechs Millionen in der Bundesrepublik Deutschland Intensivkäufer seien und mehr als fünf Tonträger im Jahr kaufen. Ganze 30 Millionen leisten sich niemals CDs. Die Verkaufszahlen für Tonträger sind seit Jahrzehnten weltweit rückläufig. Besonders der Single-Markt ist hiervon betroffen. Das deutlich bessere Preis-Leistungs-Verhältnis beim Kauf einer Single ist der Grund, aber auch die verstärkte Nutzung illegaler Musikdownloads im Web.

Bleibt bei den ganzen Zahlen und Fakten rund ums Thema zu hoffen, dass unsere Leser sich ihren guten Geschmack bewahren - Charts hin oder her. Wir machens genauso ;-)
Text und Artwork by Sandy Roth.

Schon gelesen? Noch nicht? Dann wirds aber Zeit!!!