.:o:. Backgroundstory .:o:.
Ein großer Teil der deutschen Jugendlichen spielt ein Instrument, ist in Musikvereinen, Chören oder Bands aktiv und verbringt einen nicht unerheblichen Teil seiner Freizeit mit Musikhören und Musikmachen. Überall klingt und singt es aus Radios, Fernsehern, Duschkabinen und Proberäumen. Mit der CDs-Sammlung des Durchschnittsjugendlichen könnte man eine ganze Woche lang ununterbrochen auf dem Sofa chillen. "Musikhören" gehört nach wie vor zu den liebsten Freizeibeschäftigungen junger Leute. Was steckt dahinter? Warum sind wir so leicht für Musik zu begeistern. Warum macht sie uns glücklich? Warum bringt sie uns zum Weinen? Sandy hat mal darüber nachgedacht, warum wir Musik "brauchen".

"Warum machen wir Musik!"

"In this world of trouble my music pulls me through!"

Ein wichtiges Motiv, warum wir uns Musik auf CD kaufen, im Fernsehen angucken oder selbst lernen, Musik zu machen, ist das der "Selbstverwirklichung". Wir setzen uns mit Musik auseinander und eignen uns diese an, um unsere eigenen Emotionen und Affekte entfalten. Wir sagen es durch die Musik, drücken uns damit aus, bereichern unseren Gefühlshaushalt und kontrollieren unser seelisches Gleichgewicht damit, egal ob wir auf einem Instrument rumhämmern, im Auto bei unserem Lieblingshit mitsingen oder uns bei Liebeskummer mit einer Depri-CD im Schlafzimmer einsperren. Und je mehr Leute um uns herum das gleiche tun, in einem Musikverein oder auf einem Rockkonzert, desto stärker finden wir unsere eigenen Gefühle bestätigt.

"You never walk alone."

Mit Musik geht alles leichter, weil wir uns darauf stützen und uns dadurch erklären und definieren können. Wir konstruieren unser eigenes "Ich" durch Musik, finden in ihr Bezugspunkte für das eigene Selbstkonzept, für unsere Gefühle, unsere Sexualität, unsere Aggressionen und unser Weltbild. Indem wir uns als Punk, Technofreak oder HipHopper bezeichnen und geben, zeigen wir, wo wir in dieser Gesellschaft hingehören möchten, welche Meinungen wir vertreten, wie wir unsere Freizeit planen oder was wir unter Freundschaft und Gruppenzugehörigkeit verstehen.

"Nothing more than feelings."

Dabei ordnen wir uns selten völlig einer bestimmten Musikrichtung unter, sondern eignen uns genau das an, was wir gerade brauchen. Durch die Fähigkeit, mitzufühlen und mitzuerleben, finden wir uns in einer einsamen "I´m with you" singenden Avril Lavigne, einem stolz "I´m still standing" posaunenden Elton John oder einem "Tears in heaven" hoffenden Eric Clapton teilweise selbst wieder, was uns in der betreffenden Situation weiterbringen kann und uns davon entlastet, unsere Gefühle selbst in Worte zu fassen.

"Music ist the key."

Damit aktivieren und managen wir unsere Stimmungen. Die moderne Popmusik kommt uns dabei sehr entgehen. Sie besitzt die Fähigkeit, als Mittler unserer Hoffnungen, Wünsche und Sehnsüchte zu fungieren. Sie kann uns vom Alltag ablenken, in fremde Welten entführen oder uns nach einem schlechten Tag aufbauen, also unsere Misserfolge kompensieren. Sie läd uns zum Feiern ein, schafft uns Räume, in denen traurig sein erlaubt ist, liefert den Rahmem für das was wir lieben oder das was wir hassen und verstärkt jede verbale Aussage, die wir nur treffen können, millionenfach. Musik kann anregen oder entspannen, aufwühlen oder beruhigen. Sie besitzt neben der Möglichkeit, gemeisam etwas zu unternehmen auch die Funktion eines Refugiums, eines Ortes, an den man sich zurückziehen kann, der Welt ausweichen und abschalten kann.

"What you thought was your Daddy."

Durch Musik entwickeln wir aber auch soziale Beziehungen und halten sie aufrecht. Sie dient uns als Gesprächsstoff, als Mittel, Kontakte zu knüpfen. Wir grenzen uns durch unsere Musik gegenüber anderen Gruppen und Altersjahrgängen ab - und nicht zuletzt gegenüber unseren Eltern, indem wir uns über Musik unterhalten, gemeinsam zu Konzerten gehen, die gleichen Bands mögen oder bei den gleichen Liedern tanzen, lachen, weinen oder mitsingen.

"Live is a dancefloor."

Stellen wir uns mal vor, wir würden in ein Land reisen, in dem alles genau so ist, wie bei uns, die gleiche Sprache, die gleichen Moden und die gleichen Werthaltungen. Stellen wir uns vor, der einzige Unterschied wäre, dass es keine Musik gäbe. Wir würden unsere Zeit wahrscheinlich mit Mensch ärgere Dich nicht spielen verbringen oder ein völlig neues Symbolsystem erfinden, mit dem wir uns auch ohne Worte verstehen können. Wir wären ohne Musik wahrscheinlich emotional sehr arme Menschen und würden am Wochenende in Fußballstudien sitzen, in denen es keine Fangesänge gibt. Im Kino würden nur verbale Dialoge laufen und statt zu tanzen würden wir in Reih und Glied marschieren - grau und monoton.

"Everything´s so blurry."

Ausserdem können wir natürlich durch Musik provizieren und protestieren, besonders wenn sie gegenkulturellen Stilrichtungen zuzuschreiben ist, also Stilen, die sich der Gesellschaft gegenüber kritisch äußern oder sie in ihrer bestehenden Form ablehnen. Wir können durch Musik symbolische Gegenpositionen gegenüber den herkömmlichen kulturellen Formen und deren Anhängern - zumeist den Erwachsenen - formulieren. Das macht seit dem zweiten Weltkrieg eigentlich jede Generation, seit es freie Massenmedien gibt und wir mehr Freizeit zur Verfügung haben, als die Leute am Anfang des letzten Jahrhunderts.

"We are the youth of the nation."

Witzig ist, dass der letzte "neue" Trend, die Technowelle, fast ganz ohne Protest auskam. Technohörer finden Homos cool, haben nichts gegen Schwarze, schreiben "Liebe" auf ihre Fahnen und gehen in der Woche im Anzug zur Arbeit. Die Freizeitindustrie freut sich und ruft zur geschlossenen "Love Parade" auf, sponsored by "Red Bull" und ohne, dass es wirklich eine Gruppenzugehörigkeit gibt, die über die Grenzen des Events heraus erhalten bleibt. Wer früher Punk oder Skinhead war, war das mit allen Konsequenzen, jedenfalls so, lange, bis die jeweilige Musik auf MTV lief und man nach neuen Formen der Abgrenzung suchen musste.

"Let the beat control your body."

Für viele Jugendliche ist auch die Körperorientierung sehr wichtig, die die Musik unterstützt. Während eines Technoevents sind wir nur einer von vielen in einer Masse, können uns aber durch Tanz uns Musik selbst erfahren oder sogar selbst verlieren, indem wir plötzlich kein Gefühlt für Zeit und Raum mehr haben. Das gilt aber auch für Headbanger oder Leute, die gemeinsam ein Robbie Williams Konzert besuchen. Sport wird durch Musik erst schön, egal ob man schwimmt, joggt oder anfeuert. Und die Musikindustrie vermarktet einen Großteil ihrer Idole über sportliche Attribute.

"Time to say goodbye."

Durch Musik können wir unsere Persönlichkeit entfalten, auf dem Weg ins Erwachsenenleben unsere Identität finden, uns selbst ausdrücken, unsere Stil zeigen und musikästhetische Erfahrungen machen. Durch Musik celebrieren wir darüber hinaus bestimmte Rituale: Siege und Niederlagen, neue Lebensabschnitte und Abschiede. Ein neues Leben oder ein Tod, eine Veränderung oder ein Wandel haben immer Lieder, die dazugehören. Die Konsumindustrie verwendet bestimmte Musikstücke, um bestimmte Markenidentitäten darzustellen und abzugrenzen.

"Rock around to clock."

Jeder von uns kennt das Hario-Dschingle, die GZSZ-Melodie, den "Sendung mit der Maus" - Song und "Should all acquaintance been forgott´n". Jeder Mensch hat viele hundert Melodien im Kopf gespeichert - vielleicht ohne sich dessen bewußt zu sein. Das Milka-Lied, den Krombacher-Webesong der Simple Minds, Al Bundy´s "Love and the Marriage", Whoopy Goldbergs "I will follow him", "As time goes by", "Time of my life" oder die Titelmelodie zu "Rauschiff Enterprise" gehören zum allgemeinen televisionären Kulturgut unserer Gesellschaft. Darüber verstehen und verständigen wir uns in einer Gesellschaft, die auf Anonymität aufgebaut ist. Musik vereint Menschen nicht nur innerhalb von Vereinen, sondern auch in dem, was wir "kollektives Gedächtnis" nennen.

Und warum macht und hört ihr Musik? Schreibt uns Eure Meinung ins Gästebuch! Welche Musik hört ihr bei Liebeskummer, welche wenn ihr gerade super gut drauf seid. Welchen Klingelton habt ihr auf dem Handy?

Thanx to Eckart Müller-Bachmanns interessanten soziologischen Schinken "Jugendkulturen revisited! Musik- und stilbezogene Vergemeinschaftungsformen (Post-) Adoleszenter im Modernisierungskontext."

Text + Artwork by www.8ung.at/red.sandy

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Ein Bericht von Sandra Roth. www.8ung.at/red.sandy

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