Seminararbeit Soziologie

Seminararbeit
"Auf der Suche nach dem Glück"
Sandra Roth
Seminar "Soziologie der Außeralltäglichkeit"
Sommersemester 2005
W. Vogelgesang

"Jede Zeit hat ihre Glücksvorstellungen.
Kulturen sind nichts anderes, als
Entwürfe von Glückseligkeit.
Religionen sind Erinnerungszeichen
dafür, dass keine Glücksvorstellung,
die der Mensch selbst entwerfen kann, genügt.
Die Biographie des Einzelnen wird zur
Einheit durch seine Interpretation des Glücks,
die Einheit einer Epoche lässt sich ausmachen
an der Übereinstimmung ihrer Glücksuche."

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung Seite 3
2. Glück in Wissenschaft und Forschung Seite 3
3. Empirische Glücksforschung? Seite 4
4. Der Begriff Glück Seite 6
5. Glück als Kulturuniversalie Seite 6
6. Philosophische Ansichten über Glück Seite 7
7. Glück und Religion Seite 8
8. Glückspolitik Seite 10
9. Das Projekt des Schönen Lebens – Glück als private Angelegenheit Seite 12
10. Die Erlebnisgesellschaft Seite 14
11. Glück als Ware auf dem Erlebnismarkt Seite 15
12. Glück im Kontext von Schulzes Milieumodell Seite 17
13. Die Trivialisierung von Bedürfnissen Seite 19
14. Glück und Tabugrenzen Seite 22
15. Glück in der Literatur Seite 22
16. Glück in den Medien Seite 23
17. Persönliches Glücksmanagement durch Musik Seite 25
18. Glücksspiele Seite 26
19. Die Sucht nach dem Glück Seite 27
20. Glück passiert im Kopf Seite 28
21. Abstumpfung durch Überfluss Seite 29
22. Der kollektive Weg zum Glück Seite 30
23. Fazit Seite 31
24. Literaturliste Seite 33
25. Erklärung der Verfasserin Seite 34
26. Zum Schmunzeln Seite 34

1. Einleitung

Die Menschen in der gegenwärtigen Welt sind permanent auf der Suche nach Glücksmomenten und Glückserlebnissen. Lieder wie der Charterfolg "Suerte!" der Sängerin Shakira oder TV-Serien wie "Bianca - Wege zum Glück" zeigen, dass das Thema "Glücksuche" in der Gesellschaft um die Jahrtausendwende allgegenwärtig ist. In Zeitschriften wie "Brigitte", "Bild der Frau" oder "Lisa" bis hin zu "Psychologie heute" werden Beiträge zum Thema veröffentlicht, die populärwissenschaftliche Erkenntnisse für die jeweilige Leserschaft journalistisch aufbereiten und Tipps für ein glückliches Leben geben. "Nur wer das Glück kennt, kann es finden." weiß Stefan Klein, Autor des Bestsellers "Die Glücksformel".

Wo das Individuum nicht mehr um das eigene Überleben kämpfen muss, entsteht Raum für die eigene Lebensplanung: Wir dürfen unser Leben selbst gestalten. Wir müssen sogar. Niemand schreibt Otto Normalverbraucher in der Wohlstandsgesellschaft vor, wie er leben soll oder gibt vor, wie man glücklich werden kann. Wie und wo die Menschen ihr Glück suchten und suchen, welche kollektiven und individuellen Strategien sie dabei entwickeln, was Glück eigentlich ist und ob man es überhaupt definieren kann – das soll Gegenstand dieser Hausarbeit sein.

2. Glück in Wissenschaft und Forschung

Gerade seit Ende der 80er Jahre des 20. Jahrhunderts ist das Thema Glück verstärkt zum Thema wissenschaftlicher Betrachtung geworden. Nicht nur Sozialwissenschaftler, sondern auch Biologen, Psychologen, Pädagogen, Kulturanthropologen, Ökonomen und Staatstheoretiker haben sich mit dem Thema auseinandergesetzt. Disziplinen wie Medizin, Musik, Bildende Kunst, Religion oder Literatur haben das Glück hinterfragt und Definitionsversuche gewagt, welche Bedeutungen für Mensch und Gesellschaft sich hinter dem Begriff verbergen.

Der Sozialpsychologe Michael Argyle begann bereits Mitte der 80er Jahre, Arbeiten über "Subjektives Wohlbefinden" zu schreiben. Im Jahre 1990 wurde in Vallendar bei Koblenz von Dr. Alfred Bellebaum ein gemeinnütziges "Institut für Glücksforschung" gegründet, das innerhalb von wissenschaftliche Tagungen und bisher zehn Bänden und dokumentierenden Publikationen das Thema Glück eingehend beleuchtet hat und damit der allgemeinen Aufbruchstimmung innerhalb der Forschung entgegen kam: "Der Glücksdiskurs zieht unsere Sozialwelt in ihren Bann wie ein Gottesdienst." findet Alfred Bellebaum, der unter anderem Professor für Soziologie an den Universitäten Koblenz und Bonn ist. Weitere berühmte Glücksforscher sind Ed Diener, der einen Fragebogen zur Lebenszu-friedenheit entwickelt hat ("Satisfaction with Life Scale / SWLS"), David T. Lykken, der die Theorie vom individuellen "Happiness Set-Point" entwickelte, welcher bestimmt, wie viel Glück wir vertragen und Ruut Veenhoven, der Direktor der "World Database of Happiness".

3. Empirische Glücksforschung?

Bereits in ihren Anfängen hatten einige Teilbereiche der Sozialwissenschaften sich mit der Frage beschäftigt, wie man "glückbegünstigende" Verhältnisse schaffen kann. Mit dem Aufkommen des Glücksthemas innerhalb verschiedener universitärer Bereiche von Forschung und Lehre hat sich auch die empirische Sozialforschung in jüngster Zeit verstärkt mit Glücksbedeutungen und Zufallserlebnissen auseinandergesetzt.

Innerhalb der Psychologie wurden die Bedingungen, Ausdrucksweisen und Folgen von Glück für den Menschen insbesondere seit den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts näher untersucht. In Politik, Ökonomie und anderen Fächern ist die empirische Analyse des Themas noch sehr jung, während die Beschäftigung damit innerhalb der Geisteswissenschaften eine relativ lange Tradition hat.

Soziologische Glücksforscher werden heute augenzwinkernd als "Happyologen" bezeichnet. Sie kämpfen mit den gleichen Schwierigkeiten wie ihre anderen Kollegen aus dem Fachbereich der Gesellschaftswissenschaft, seit Emile Durkheim es Anfang des 20. Jahrhunderts geschafft hat, die Soziologie in Frankreich als selbständige Wissenschaft zu etablieren, da das Fach innerhalb der Allgemeinheit weniger Popularität erfährt als vergleichbare wissenschaftliche Disziplinen.

Nur drei Prozent der wissenschaftlichen Studien befassen sich mit Glück. Glücksforschung als eigene Forschungsrichtung mit einem zugehörigen "Markt" für Ergebnisse gibt es vor allem, seit die Glücksforscher verstärkt zu Rate gezogen werden, wenn es darum geht, Rezepte für die Lebenspraxis und das "Glücksmanagement" von Menschen und Gruppen zu finden. So stellt sie als "Institution zur Glücküberwachung" selbst einen Faktor im Prozess der Produktion von Glückskonzepten dar.

Auf eine Umfrage der taz von Anfang Juni bis Ende August in Berlin, ob die Leute glücklich seien, antwortete eine Frau, die wegen eines Hirntraumas lange Zeit bettlägerig war, mit dem Satz "Nach starken Schmerzen weiß man, was Glück ist." Andere befragte Passanten lieferten Antworten wie "Glück ist, richtig laufen zu können" oder" Glück zu haben, ist Kinder zu haben und einen Partner, der ehrlich und treu ist.

Da die Aussagen über Glück meist sehr allgemein sind und sich häufig erst anhand der erhobenen Daten zu Kategorien zusammenfassen lassen, spielt bei der Datenerhebung solcher Glücksvorstellungen vor allem die Methode der Befragung eine Rolle. Viele überraschende Glücksvorstellungen und -rezepte kommen erst im Laufe einer Untersuchung zum Vorschein, wenn verschiedene Menschen dazu zu Wort kommen.

In älteren Publikationen findet man private Glücksrezepte wie "Die selbst geernteten sauren Stachelbeeren.", "Die Heimfahrt im Auto nach des Tages Mühen." oder "Der wieder zurück-gekommene Hund." Es scheint vor allem das kleine und stetige Glück zu sein, dass private Zufriedenheit ausmacht und wer in irgend einer Weise vom Pech verfolgt war, weiß die Heilung einer Krankheit oder das Wiederfinden eines verloren geglaubten ans Herz gewachsenen Gegenstandes, Tieres oder Menschen wirklich zu schätzen.

Die Beobachtung als Erhebungsmethode eignet sich hier weniger, da Glück ein innerer Zustand ist, der man den Menschen nicht zwangsläufig ansieht: Der eine könnte "schreien vor Glück", der andere "genießt und schweigt". Durch solche Differenzen ist die Reliabilität beobachtender Untersuchungen nicht gewährleistet.

Auch die Inhaltsanalyse eignet sich kaum, da man mehrere Sorten von Texten unterscheiden muss - solche, die für Publikum geschrieben wurden und Glücksmomente durch textliche Stilmittel von vorneherein gezielt überspitzen, so dass hier jegliche Authentizität verloren geht und persönliche Texte in Monolog oder Dialogform - Tagebucheinträge oder Briefe beispielsweise - die durch die zwangsläufig interpretative Leistung des Forschers und die persönlich determinierten Glücksausdrücke der Schreiber auch schwer auf ihre "Glücksinhalte" zu messen sind. "There is the problem that attributions of other people´s happiness are not independent from one´s own happiness." sagt Veenhoven.

Man müsste die jeweiligen Autoren der Texte noch einmal gezielt befragen, welche Gefühle sie mit ihren Worten ausdrücken wollten, was im Falle jahrhundertealter Dokumente von vorne herein nicht machbar ist. Viele Leute sind auch gar nicht in der Lage, aus dem Stehgreif in Worte zu fassen, was sie empfinden – und schreiben es daher nicht auf - eine inhaltsanalytische Untersuchung wäre also keinesfalls repräsentativ. Bei einer Befragung kann man helfend nachhaken oder durch geschlossene Fragen begriffliche Vorgaben machen, die es erleichtern, die eigenen Emotionen von Versuchspersonen in Begriffe zu fassen - also Skalen einsetzen. Das gängigste Verfahren der empirischen Glücksforschung sind daher persönliche oder schriftliche Interviews.

Der Forschungsgegenstand der empirischen Glücksforschung lässt sich nur schwer eingrenzen. "Glück ist das, was Menschen sich darunter vorstellen" hat es Alfred Bellebaum formuliert. Schon das Wortumfeld des Begriffes "Glück" bietet so viele Möglichkeiten, dass man nicht daran vorbeikommt, bestimmte Bedeutungen von vorne herein auszuschließen oder mit einzubeziehen. Es gibt allerdings bestimmte Grundtypen von Glücksvorstellungen, die von der philosophischen und den geisteswissenschaftlichen Betrachtungsweisen geprägt sind.

Worte wie "Lebensqualität", "Wellness", "Positiverfahrungen" und "Zufriedenheit" sind keine Synonyme für Glück, sondern bieten lediglich eine breite Schnittmenge an Assoziationen, die wiederum individuell verschieden sind. Oft taucht das Wort "Glück" in soziologischen oder psychologischen Studien gar nicht erst auf, obwohl man das aufgrund des Themas eigentlich erwarten müsste. Es werden umschreibende Termini wie "angenehmes Leben", "gutes Leben", "gelingendes Leben" oder "subjektives Wohlbefinden" benutzt. Die soziologisch orientierte Umfrageforschung hat den Begriff des "subjektiven Wohlbefindens" innerhalb gesellschaftlicher Langzeitstudien des ZUMA schon seit 1978 im Blick und kennt Zeitreihen für "Glück" und "Lebenszufriedenheit".

Auch die Wirtschaftswissenschaftler kennen innerhalb ihres Fachvokabulars Begriffe wie Wohlstand, Wohlfahrt und Zufriedenheit und haben das Wort "Glück" bisher immer aussen vor gelassen. Für die Mehrzahl der Menschen ausserhalb von Wissenschaft und Forschung bildet die Populärkultur den entscheidenden prägenden Faktor für die persönlichen Glücksvorstellungen.

4. Der Begriff Glück

Der Begriff "Glück" kann nicht vollständig beschrieben werden und hat im deutschen Sprachgebrauch verschiedene Bedeutungen. Schon die Linguisten wissen ein Lied davon zu singen: Die englischen Wörter "fortune", "luck" und "happiness" lassen sich allesamt mit dem deutschen Wort "Glück" übersetzen. Meinen "to be lucky" oder "to be fortunate" jedoch eher "ein gutes Schicksal", "gute Lebensumstände haben" oder "gute Erfahrungen machen", so ist "happiness" eher mit "Zufriedenheit" oder "Fröhlichkeit" in Form eines inneren Zustandes gleichzusetzen, der aber auch auf äußeren Lebensumständen beruhen kann. Glücksähnliche und Glück umschreibende Worte wie "Daseinsfreude", "Dusel", "Fröhlichkeit", "Heil", "Hochgefühl", "Jubel", "Los", "Segen", "Wohl" oder "Wonne" spiegeln diese Zweideutigkeit wieder. Die seit der Antike geläufige und im Barock gerne wieder aufgegriffene "Fortuna" ist nicht nur als Göttin des Glücks, sondern auch als Göttin des Schicksals und des Zufalls bekannt und damit auch indirekt für das Unglück verantwortlich.

Die Sprachwissenschaft kennt die Worte "gelucke" im Mittelniederdeutschen und "gelücke" im Mittelhochdeutschen, die als Herkunft des Wortes "Glück" ab dem 12. Jahrhundert gesehen werden können und so viel bedeuten wie "Beschluss", "Festsetzung" und "Bestimmung". Die beiden Worte kommen vom Verb "gelingen", das sich vom Wort "leicht" ableitet. "(ghe)lucke" ist die Wurzel für das englische "luck" und knüpft an das gotisch angelsächsische "lukan", das altnordisch altfriesische "luka", das angelsächsische "lucan" und das althochdeutsche "luhhan" an, dass auch die Wurzel für den deutschen Begriff "Luke" bildet. Glück ist demnach ursprünglich also das Gelungene, das leicht Erreichte oder der günstige Ausgang eines Ereignisses.

Im alltäglichen Sprachgebrauch gibt es eine ganze Reihe von Metaphern und Analogien rund um das Thema Glück: "Glückspilze" und "Glückskinder" suchen ihr "Glück auf der Straße", sie "haben Schwein" oder "eine Glückssträhne". Menschen wünschen sich "viel Glück im neuen Jahr" und "glückliche Reise". Sie reden davon, dass etwas "reine Glückssache war" wenn sie vom Zufall sprechen. Oder sie haben "mehr Glück als Verstand" oder "Glück im Unglück" gehabt. Sprichwörter wie "jeder ist seines Glückes Schmied" oder "Scherben bringen Glück" zeugen von der Vielfältigkeit des Begriffes im deutschen Sprachgebrauch.

5. Glück als Kulturuniversalie

"Alle Menschen streben nach Glück, sie wollen glücklich werden und so bleiben", sagt Freud 1930 in seiner kulturanthropologischen Schrift "Das Unbehagen der Kultur". Da alle Völker in der Vergangenheit und in der Gegenwart eine Vorstellung davon hatten, was Glück ist und es offenbar ein natürliches Streben danach gibt, dann kann man durchaus von einem zeitlosen menschlichen Bedürfnis sprechen. Glücksuche kann als Kulturuniversalie gesehen werden. Der Begriff "Glück" bezeichnet jeweils das, was sich Menschen, Gesellschaften oder Kulturen darunter verstehen.

Glück kann durch eine Geste, einen Gesichtsausdruck, ein Lachen oder ein Lächeln ohne Worte signalisiert und verstanden werden. Darüber hinaus schaffen Gesellschaften auch Glückssymbole. Man denke nur einmal an unsere heutigen "Glücksbringer" - das Hufeisen, das Kleeblatt, das Glücksschwein, den Glückspfennig, den Schornsteinfeger oder den Fliegenpilz. In China kennt man den Glücksdrachen und Glücksmünzen. Das mit der Spitze nach oben ausgerichtete Pentagramm gilt seit langem als Glückssymbol. Glückskäfer und Glückskatze sind weniger bekannt. Das jüngste aller Glückssymbole ist der "Smiley", er eroberte in den 80er Jahren den Freizeitmarkt und wird heute im Internet als "Emoticon" für positive Gefühlsausdrücke verwendet.

Die Vorstellung davon, was Glück ist, hängt immer damit zusammen, welcher Zeitgeist und welche kulturspezifischen Ansichten über ein gutes Leben in einer Gesellschaft oder einer Epoche vorherrschen. Die amerikanischen Hopi nennen Punkte wie "ein Leben ohne Krankheit" oder "ein sorgenfreies Leben". Im Sanskrit ist von Gesundheit, Harmonie und Wachstum die Rede. Bedeutsam sind auch Schichtzugehörigkeit oder herkunftsbedingte Unterschiede von Menschen - nicht nur für die Definition von Glück, sondern auch für die geltenden Glücksziele und die genutzten Mittel ihrer Verwirklichung. Innerhalb wenig ausdifferenzierter Stammesgesellschaften herrschen oft Aspekte wie "Gesundheit", "viele Kinder" und eine "harmonische Ehe" vor. Gemeinsames Glückserleben erfolgt häufig innerhalb kollektiver Feiern oder Erlebnisse: Die Sinai-Beduinen bezeichnen mit dem Wort "farah" (Freude) auch ein zehntägiges Fest im Zusammenhang mit Beschneidungs-Ritualen, Initiationsriten oder Hochzeiten. In Samoa bedeutet "fiafia" nicht nur "geselliges Beisam-mensein", sondern auch "genießen", "mögen", "fröhlich sein" und "glücklich sein".

Die materielle Seite des Glücks wird auch in der jüdischen "mizwah" offenbar, die das gemeinsame Essen zu einem religiösen Fest werden lässt, in dem sich in der göttlichen Gnade des Mahles Glück offenbart. Daneben sind Glücksvorstellungen in primären Gesellschaften immer damit behaftet, womit Menschen innerhalb einer bestimmten Umwelt ihr Überleben sichern, ob sie Beduinen sind, vom Ackerbau oder von der Nutztierhaltung leben. In religiöse Zeremonien und alten Mythen geht es immer wieder um die beiden Extreme Überfluss und Unterernährung – Fülle und Mangel. Schon die Bibel spricht von sieben mageren und sieben fetten Jahren und macht damit die Nahrungsbedingungen einer Gesellschaft zu ihrem kleinsten gemeinsamen Nenner für ein erfülltes und glückliches Leben.

6. Philosophische Ansichten über Glück

Dem berühmten Satz von Sigmund Freud "Die Absicht, dass der Mensch ´glücklich´ ist, ist im Plan der ´Schöpfung´ nicht enthalten." kann man getrost entgegensetzen, dass selbst die Menschen, die sich nicht mit wissenschaftlichen Diskursen über das Thema Glück beschäftigt haben, in ihrem Leben von Natur aus eher auf der Suche nach Glückserlebnissen als nach Unglücksmomenten waren. "Glück muss nicht reflektiert werden, um es erleben zu können." schreibt Alfred Bellebaum. Aristoteles brachte das typisch menschliche Streben nach Glückserlebnissen auf den Punkt, indem er sagte "Alle Menschen wollen glücklich sein".

Die antike Philosophie beschäftigte sie sehr oft mit dem Begriff "Eudaimonia", was so viel bedeutet wie "das Gelingen des eigenen Lebens". Für Aristoteles bedeutet "Eudaimonia" das höchste Gut, nach dem es sich zu streben lohnt: Jeder will es und doch wissen die Meisten nicht, wie sie es erlangen können. Aristoteles schreibt jedem Menschen ein persönliches Schicksal zu, eine Daseinsaufgabe, die für ihn wesenhaft ist und durch deren Erfüllung er sein Glück finden kann. Hier wird deutlich, dass seine Vorstellung von der griechischen Polis als gesellschaftlichem Strukturplan geprägt war, in der unter anderem Frauen und Sklaven keinerlei bürgerliche Rechte genossen.

Auch im alten Ägypten war die Vorstellung von Glück sehr stark mit der geltenden Herrschaftsordnung verwebt, innerhalb derer der Einzelne via Sozialisation zum Teil der Gesellschaft wurde und in der das Zusammenleben nur dann funktionierte, wenn man den anderen respektierte. Hier hing das individuelle Glück sehr stark mit der als gottgegeben angesehenen Herrschaftsposition des Pharaos zusammen.

Cicero machte den Vorschlag, dass die Philosophie sich die Untersuchung des glücklichen Lebens zur Hauptaufgabe machen solle. Die Philosophenschulen der Epikureer und der Stoiker waren geradezu vom Glück besessen. Bei ihnen entwickelte sich die "Eudaimonia" zu einer strikt privaten Angelegenheit, wodurch letztlich auch der im Abendland vorherrschende Glücksbegriff beeinflusst wurde.

Seneca, der in der Tradition der Stoa steht, sagte, dass nur ein Leben in Übereinstimmung mit der eigenen Natur glücklich mache, eines, bei dem die Hauptaffekte Schmerz, Begierde, Furcht und Lust erfolgreich bekämpft werden und die Seele gesund, tapfer und leidenschaftlich ist. Viele moralphilosophische und theologische Theorien sind seither entstanden. Epikur sprach von der "Freude an sich selbst und an den Nächsten" und vertrat die These, dass Glück zugleich Verzicht bedeutet. Chrysipp stellte dem "resignativen Glück" als selbstlose Gesinnung das "rationale Glück" als Pathos der Selbstermächtigung gegenüber.

Seit Kant wird "Glück" dagegen als unbestimmter, inhaltsleerer und damit unbrauchbarer Begriff angesehen. In seiner transzendentalen Ethik hat er die eudämonistische Tradition in der Begründung der Sittlichkeitslehre für nichtig erklärt und damit unser Weltbild vom Glück entscheidend geprägt.

Allgemein kann man sagen, dass die Glücksfrage eigentlich eine unmögliche Frage ist, da sie an Komplexität nicht zu überbieten ist. Die Philosophie hat es geschafft, durch Annäherungen der Antwort darauf, was Glück ist, ein kleines Stückchen näher zu kommen. Festzuhalten bleibt jedoch, dass ideale und reale, objektive und subjektive, individuelle und soziale Aspekte und die damit einhergehenden unterschiedlichen Begriffsverwendungen sich kaum auf einen gemeinsamen Nenner bringen lassen.

Die heute untersuchten Trends zur Psychologisierung, Subjektivierung und Privatisierung des Glücks haben schon im Hellenismus ihre Wurzeln. Die antiken Lehrmeister erleben gerade eine Renaissance und werden im pädagogisch-schulischen Bereich sowie innerhalb der Philosophie auf ihren Aktualitätsgrad hin überprüft.

7. Glück und Religion

Die "Gretchenfrage" unter den Glücksfragen ist die, inwiefern man aus religiösen Glücksversprechen auch das Selbstverständnis ganzer Gesellschaften herauslesen kann. Eine riesige Bandbreite von Diesseits- und Jenseitsvorstellungen sind im Wandel der Zeit innerhalb der großen Religionen entstanden. In der französischen Revolutionsverfassung von 1973 ist von einem "bonheur commun" die Rede, einem gemeinsamen Glück als Ziel der Gesellschaft. Dies hat einen Wandel der allgemeinen Vorstellung von Glück zur Grundlage - eine Verschiebung jenseitiger und transzendentaler Glücksvorstellungen ins "Hier und Jetzt".

Den Theologen geht es ohne Zweifel primär um das Glück, wenn sie über "jenseitiges Heil" sprechen. Der Buddhismus postuliert die Wiedergeburt als "Karrierechance" gemäß der Lebensführung im jetzigen Leben. Seit Siddharta Gautama den ewigen Kreis von Tod und Wiedergeburt durchbrochen und die Erleuchtung erlangt hat, ist wahres Glück hier als das Erlöschen aller Empfindungen im Nirwana definiert. Und: Wer ein redliches Leben führt, muss keine Angst haben, als Schaf wiedergeboren zu werden. Im Hinduismus ist es das Kastensystem, dass dem Einzelnen Glücksmöglichkeiten zuschreibt. Alois Hahn formulierte es so: "In der Regel wird die Differenz zwischen Glück und Unglück im Jenseits als gerechte Konsequenz diesseitigen Lebenswandels dargestellt, als Antwort auf Schuld und Unschuld."

Der asketische Protestantismus vertrat den Glauben, dass die Eintrittskarten für das Paradies für diejenigen reserviert seien, denen man anhand ihrer tüchtigen und sparsamen Lebensweise anmerkte, dass sie zu den Menschen gehörten, die Gott erwählt hatte, mit ihm den Himmel zu teilen. Man hob sich das Glücklichsein also für später auf oder war glücklich, wenn man dem Bild des erfolgreichen kapitalistischen Unternehmers entsprach und seine Gewinne reinvestierte, statt sie für materielle Glückserlebnisse und Glücksangebote auszugeben, zum Fenster hinauszuwerfen oder davon in Urlaub zu fahren.

Im Katholizismus wurden geflügelte Bibelworte wie "Selig sind die Trauernden, denn sie werden getröstet werden" zum Opium ganzer Bevölkerungsschichten, denen das Glück im Diesseits verwehrt blieb, während sich einige wenige am Wohlstand labten und ihre einzige Lebensaufgabe darin sahen, sich nicht zu langweilen. Das jenseitige Glück wurde zum Trost und zur Belohnung für unschöne diesseitige Lebensumstände, das Paradies zum theozentrischen Glücksmodell.

In der Bibel taucht das Wort "Glück" nur selten auf. Im Alten Testament gab Gott Joseph Glück zu dem, was er tat (1. Buch Mose 39, 32). Der Psalmist warnte: "Ein böses Maul wird kein Glück haben auf Erden" (Psalm 140,12). "Du bist mein Herr, mein ganzes Glück" verkündete David in Vers 2 des Psalm 16. Und die Prediger sagten, dass alles an "Zeit und Glück" liegt (Prediger 9, 11). Kohelet dachte sich "Auf, versuch es mit der Freude, genieß da Glück!" Er kam zu dem Ergebnis, dass auch das wie alles andere Windhauch sei (Kohelet 2,1). Im neue Testament wird von "selig" gesprochen und unser heutiges Wort "glückselig" ist daraus entstanden (Matthäus 5, 2 - 12).

Wo die traditionellen religiösen Glücksverheissungen nicht mehr greifen, da sie wie im Katholizismus zu dogmatisch und auf Menschen zugeschnitten sind, deren Lebensumstände ohne den Glauben an ein besseres Leben nicht lebenswert ist oder wie im Protestantismus selbst der asketischste Berufsethos von der Spaßgesellschaft geschluckt wird, in der ein Job nicht nur Geld einbringen, sondern primär Freude bereiten soll, dort sind es vor allem die vom Schicksal gebeutelten, von Krankheit betroffenen und durch bestimmte Lebensumstände vom Glück abgeschnittenen Menschen, die die traditionellen Religion als Sinnstiftungsinstanzen wiederentdecken und nutzen, um einen Halt im Leben zu finden. Die Frage, was man glaube, "was Menschen glücklich macht", wurde 1999 immerhin noch von einem Viertel der Befragten mit "Glaube" und "religiöse Überzeugung" beantwortet.

Die Dinge, die man mit Geld nicht kaufen kann, sucht man weiterhin bei Gott, wenn man sie nicht oder nicht mehr hat. Die Menschen, denen es gut geht, haben das Beten verlernt, weil sie es nicht mehr nötig haben. Sie suchen Halt in neuen Glaubensrichtungen, die das Selbstbild ihre Anhänger weniger spaßtötend, negativ oder unterwürfig prägen - wie der New Age Bewegung oder puzzeln sich aus dem Gros der Weltreligionen und Sinnstiftungsversuche ihre eigene persönliche Religion zusammen, hängen sich indianische Traumfängersymbole an die Wand, stellen sich die Besteller des Dalai Lama, die sich um das Thema "Glück" drehen, gleich neben die Bibel ins Bücherregal und vertrauen ihre Sorgen ihren Zimmerpflanzen an - oder Brigitte Lämmle im Dritten Programm.

Esoterisches Denken als Machbarkeitsdenken geht davon aus, dass nicht Gott, sondern der Mensch selbst für sein Glück verantwortlich ist. Wieso sollen wir uns den Himmel wünschen, wenn wir ihn in Form von käuflichen Glückserlebnissen schon haben und die Antworten, die wir früher bei Gott gesucht haben, heute im Fernsehen oder beim Tarot finden. Oder als Lebensweisheiten in "Glückskeksen".

Postmaterialistisch veranlagte Menschen finden ihre Glückskonzepte weiterhin durch das caritative Selbstverständnis der Kirchen bestätigt. "Glück ist in meinen Augen eine Situation, in der, ohne dass man sich noch groß anstrengen muss, einfach alles zusammenpasst und man zufrieden ist", sagt ein Jugendlicher in einer evangelischen Zeitschrift für Jugendarbeit, "Zum Glücklichsein gehört Bescheidenheit, Ausdauer, Mut, Selbstvertrauen und natürlich Menschen, mit denen man sein Glück teilen kann." Insofern haben auch vor allem solche kirchlichen Projekte Zulauf, die Gruppenaspekte und solidarische Werte wie Hilfsbereitschaft und Großmut in den Mittelpunkt stellen.

Hier sind vor allem die Kirchen gefordert, ihre liturgischen Inhalte einmal kritisch zu hinterfragen, denn wer stigmatisiert sich schon gerne als armer Sünder, für den Jesus am Kreuz gestorben ist, wenn er ausserhalb des Gotteshauses den Spaß quasi "umsonst" hat, ohne Gott danach um Erlaubnis zu bitten. Kollektives Glück kann allerdings nach wie vor im gemeinschaftlichen religiösen Erleben gefunden werden, und die Funktion der Welt- Religionen als Übermittler von Normen des Zusammenlebens sind hier nicht zu unterschätzen. Neue Ausdrucksformen des Betens und der Gemeinschaft sind gefragt, um gerade Jugendliche dort abzuholen, wo sie stehen. Kirche darf Spaß machen und über den Tellerrand schauen. Und sie darf der Realität ihre Türen öffnen, um Glückskonzepte zu vermitteln und Lebenshilfe oder soziale Stabilität zu geben.

8. Glückspolitik

In der traditionellen Welt konnte man das Unglück ärmerer Bevölkerungsschichten dadurch entschärfen, dass man sie auf ein besseres Dasein nach dem Ende des gegenwärtigen Lebens vertröstete. Oder man propagierte Gesellschaftsordnungen, die dem Unglück ein Ende bereiten sollten. Das Konzept der klassenlosen Gesellschaft lebt laut Bellebaum von der Vorstellung, dass es Defizite gibt, die abgeschafft werden müssen, weil sie viele Menschen daran hindern, ein glückliches Leben zu führen. "Stalin verhieß paradiesische Zustände in einer klassenlosen Gesellschaft. Mao Tse Tung ließ in seiner Kulturrevolution vieles zerstören, um den Boden für etwas völlig Neues zu bestellen." Und Adolf Hitler sprach vom glücksverheissenden Tausendjährigen Reich. Diese utopischen Glücks- und Heilversprechen haben in der Vergangenheit nicht selten zu politischer Skrupellosigkeit bis hin zu Verbrechen und Massenmord geführt, wie für Adorno und Horkkheimer in der europäischen Geschichte des 20. Jahrhunderts deutlich geworden ist. Die "kritischen" Sozialwissenschaften marxistischer, marxistisch inspirierter und nicht-marxistischer Prägung folgten dem Anspruch, den auf sein "kleinbürgerliches Glück" fixierten Menschen dadurch zum Glück zu verhelfen, indem sie sie aus "angeblichen ökonomischen, politisch und religiös bedingten Verblendungszusammenhängen" herauszulösen versuchen.

Heute kommt dem demokratischen Staat dagegen die Aufgabe zu, günstige Voraussetzungen für ein möglichst gelingendes Leben zu schaffen und zu sichern. In der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung von 1776 heißt es: "Wir halten die folgenden Wahrheiten für unmittelbar einleuchtend: Dass alle Menschen gleich geschaffen sind, dass sie von ihrem Schöpfer mit gewissen unveräußerlichen Rechten ausgestattet sind, und hierzu gehören: Das Leben, die Freiheit und das Streben nach Glück, …" Das Streben nach Glück ("Persuit of Happiness") bedeutet allerdings nicht, dass der Staat Glück garantieren muss. Glück ist letztendlich die Privatsache des Einzelnen. Der Staat muss die Rahmenbedingungen schaffen, damit seine Bürger glücklich werden können. Er muss Staatsziele definieren und dabei abwägen, wie das Thema Glück darin zum Tragen kommt. Und abgesehen davon, dass der Staat nicht alle Bürgerwünsche gleichsam ins Auge fassen kann, gibt es auch Bedingungen von Glück oder Unglück, auf die er keinen Einfluss hat.

Helmut Klages hat darüber gesagt: "Der Glaube an die politische Herstellbarkeit von Glück gehört an zentraler Stelle zum Selbstverständnis der Moderne schlechthin, legitimiert unter den Bedingungen des modernen (oder auch modernistischen) Denkens geradezu die Politik.

Dies hat für den Einzelnen jedoch nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten zur Folge, die sich soziologisch begründen lassen: Jean Jaques Rousseau, von dem auch Emile Durkheims Vorstellung vom Glück geprägt wurde, sah das persönliche Glück des Einzelnen durch die gesellschaftlichen Zwänge, denen Menschen unterliegen, beschränkt. Ganz ähnlich hat auch Sigmund Freud dahingehend argumentiert, dass die Welt den menschlichen Glücksansprüchen entgegengesetzt sei.

Die Folge ist, dass Glück als gesamtgesellschaftliches Ziel nur dadurch erreicht werden kann, dass die Menschen die gesellschaftlichen Normen achten und ihre Gesetze befolgen. "Der mächtige Staat, der Gewaltsamkeit unterbindet, schafft freilich noch nicht unmittelbar das Glück; aber es gibt kein Glück ohne seine ordnungsschaffende Potenz. Die moralischen Anforderungen an ihn sind zunächst sparsam: Er hat sein Gewaltmonopol durchzusetzen, also private Gewaltsamkeit zu untersagen." Er sichert durch seine Gesetze also einen friedlichen äußeren Rahmen, in dem sich das individuelle Glück entfalten kann.

"Einigkeit und Recht und Freiheit sind des Glückes Unterpfand. Blüh im Glanze dieses Glückes, blühe deutsches Vaterland." heisst es in der deutschen Nationalhymne, deren Text Hoffmann von Fallersleben 1841 verfasst hat. Die deutsche Verfassung nennt das Stichwort "Glück" nicht. Sie lässt aber durch die Bezeichnung "Sozialstaat" eine Vorstellung der sozialen Rahmenbedingungen aufkommen, die sie für den Bürger gewährleisten will und die wiederum mit einer Grundidee von Glück und Wohlstand behaftet sind. Als "Wohlfahrtsstaat" definiert, geht die Funktion des deutschen Staates also über die Garantie der äußeren Sicherheit und der inneren Ordnung hinaus und erstreckt sich auch auf die materiellen und immateriellen Aspekte dessen, was wir als Lebensstandart bezeichnen. Der Zwiespalt zwischen persönlichen Neigungen und gesellschaftlichen Pflichten, der daraus erwächst, führt dazu, dass nur die Menschen wirklich glücklich sind, die das, was sie wollen und das, was sie als Bürger eines Staates dürfen, vereinbaren können.

Nach Durkheim kann der Mensch sich den "Schutzwall" aus Moralregeln und Geboten zu Nutze machen. Auch wenn seine Leidenschaften durch gesellschaftliche Zwänge eingesperrt oder gebrochen werden, haben Normen auch immer die Funktion der schützenden Mauern eines Raumes, in dem sich Glück bis zu einem gewissen Grad entfalten kann. Wo dieser "Schutzwall" nicht oder nicht mehr existiert, entsteht Anomie. Das kann beispielsweise dort sein, wo begünstigende Machtverhältnisse oder soziale Konstellationen dazu führen, dass Situationen "nach oben offen sind" und wo es keine Beschränkungen mehr gibt. Und Anomie führt geradewegs ins Unglück, da sich bis ins Extrem gesteigerte Bedürfnisse nicht mehr befriedigen lassen.

Glück braucht also ähnlich wie Wasser ein Gefäß, in dem es gesammelt und aufbewahrt werden kann. Durkheim plädiert daher darauf, dass schon Kindern im Sozialisationsprozess vermittelt werden soll, "dass Glück nicht grenzenlos mit der Macht, mit dem Wissen oder dem Reichtum wächst" und "dass das Mittel, glücklich zu sein, darin besteht, sich nahe liegende, erfüllbare Ziele zu suchen." Auch das gesellschaftliche Zusammenleben funktioniert nur dadurch, dass wir "jene Zurückhaltung der Wünsche" lernen, "ohne die der Mensch nicht glücklich sein könnte." Mit anderen Worten: Wir lernen das Wasser erst zu schätzen, wenn wir wissen, dass es verdunsten oder im Erboden versickern kann, dass man aber auch darin ertrinken kann.

9. Das Projekt des schönen Lebens – Glück als private Angelegenheit

Persönliche Glücksquellen sahen über die Hälfte der Deutsche im Jahre 1999 in "Freude", in "Erfolg im Beruf" oder darin, "einen Beruf zu haben, in dem man aufgeht, der einem Freude macht". Kinder als Glück bringend empfanden 62 Prozent. Weitere Glücksgaranten waren vor allem im privaten Bereich zu finden in Form von "Menschen, die einen lieben" (68 Prozent), "einer Familie" (74 Prozent) und "einer glückliche Ehe oder Partnerschaft" (79 Prozent). Auch die Gesundheit wurde von 89 Prozent der Deutschen als nicht selbstverständliches Glück empfunden. Private Beziehungen und Gesundheit werden von Frauen häufiger genannt als von Männern.

Es sind also überraschenderweise vor allem die Dinge, die wir persönlich als wertvoll empfinden, die uns glücklich machen. Die Dinge, die man auf dem Erlebnismarkt nicht kaufen kann, die nicht im Überfluss des Konsums zu finden sind und die uns ungeachtet ihres materiellen Wertes am Herzen liegen. Erst wenn die privaten Rahmenbedingungen in unserem Leben stimmen, können wir Glücksangebote sinnvoll nutzen.

Dass die Familie den Menschen in unserer funktional stark ausdifferenzierten Gesellschaft so "heilig" ist, hängt vor allem damit zusammen, dass wir hier einen Daseinsbereich finden, in dem wir universalistisch als gesamte Person wahrgenommen werden und nicht bloß partikularistisch innerhalb einer Berufsrolle oder eines Rollensegments. Die soziale Kohäsion ist die Voraussetzung für weitere familiäre Leistungen wie Zuwendung, Solidarität, Individualität und Freiheit oder auch Geborgenheit.

Nun sind wir in der heutigen Zeit auch nicht mehr darauf angewiesen, dass es zum richtigen Zeitpunkt regnet und unsere Tiere und Weiden genug Ertrag bringen, um unsere Mägen zu füllen. Auch müssen wir nicht mehr als Diener zusehen, wie sich unsere Könige langweilen. Und wir sind nicht mehr so unglücklich, dass wir aus religiösen Opiaten leben und auf ein besseres Leben nach dem gegenwärtigen "Dasein im Jammertal" hoffen müssen.

Wir haben andere Sorgen, etwa, welchen der sieben angebotenen probiotischen Biolactose-Drinks wir uns morgens auf den Frühstückstisch stellen oder welche der Dutzenden von Fernsehprogrammen wir uns ansehen. Wir verfügen nicht nur über ausreichend Nahrung, sondern auch über genügend nichtmaterielle Güter, die die Menschen im alten Griechenland nicht hatten. Eines davon ist Freizeit. Durch die Freistellung von Erwerbsarbeit seit den 50er Jahren des vergangenen Jahrhunderts haben die Menschen einen wirklichen Kulturbruch erlebt, dessen Folgen bis heute spürbar sind. Die Beziehung von ich und Welt veränderte sich vom weltbezogenen Subjekt zur subjektbezogenen Welt. Nicht mehr Traditionen oder Gesellschaftsordnungen schreiben vor, wie viel Glück der Einzelne erleben darf. Er hat weitaus mehr Möglichkeiten, glücklich zu sein, ist dadurch aber auch gezwungen, eine Wahl zu treffen.

Alfred Bellebaum spricht von der verbreiteten Auffassung, dass es sich bei "Glück" um eine vorwiegend subjektiv-private Angelegenheit handelt. Grundvoraussetzung hierfür ist der Wandel zu einer innengerichtete Haltung des Individuums, die schon David Riesman in den 50er Jahren innerhalb seiner Studie über die Veränderung des amerikanischen Charakters festgestellt hat. In der westlichen Welt seit der Renaissance und der Zeit der Reformation entsteht Konformität zur Sicherung gesellschaftlichen Zusammenlebens verstärkt durch eine Fokussierung nach innen. Die Charaktere innerhalb moderner und postmoderner Gesell-schaften schaffen es, ihr Sozialleben weniger durch die alten Traditionen zu regulieren - "without strict and self-evident tradition-direction". Sie haben sich dahingehend differenziert, dass sie der Erlebnispluralisierung mit einem stark individualisierten Charakter, einer "selfmade personality" begegnen und es existiert eine unüberschaubare Palette an gesellschaftlich vermittelten Zielen - "money, possessions, power, knowledge, fame, goodness".

Mit einem permanenten Handlungsüberschuss ausgerüstet, muss der Mensch nun auf die Suche gehen und für sich selbst definieren, was Glück ist. Wir haben die Wahl, sowohl was die Ziele, als auch was die Mittel unserer persönlichen Glücksuche angeht. Und schon die hellenistische Philosophie wusste: "Wenn wir dadurch glücklich werden, dass wir das, was wir erreichen wollen, auch tatsächlich erreichen, das ist der kürzeste und sicherste Weg zum Glück, sich möglichst wenig Ziele zu setzen."

Wir haben mehr Zeit und mehr Möglichkeiten, diese zu nutzen. Die westlichen Gesellschaften bieten potenziell jedem die Chance, seines Glückes eigener Schmied zu sein und nach Erlebnissen zu greifen, die Glück verheissen. "Früher war Langeweile ein Vorrecht der besseren Stände. In der modernen Gesellschaft spricht man von einer Demokratisierung der Langeweile. Langeweile ist in allen Schichten anzutreffen. Fast jeder streitet ab, mit Langeweile etwas zu tun zu haben. Wer Langeweile kennt und davon spricht, funktioniert nicht so, wie es die Gesellschaft will." sagt Schulze.

Früher passte sich das Individuum den gegebenen Umständen an. Heute steht es einer Vielzahl von Möglichkeiten gegenüber und puzzelt sich im Konsumdschungel der Erlebnisgesellschaft seine eigene Identität zusammen. Schulze spricht in diesem Zusammenhang von einer "Expansion des Möglichkeitsraumes". Erlebnisorientierung, sagt er, sei die unmittelbarste Form der Suche nach Glück.

Der heutige Mensch arrangiert die Welt im Hinblick auf sich selbst, um durch die Wahl, die er trifft, das eigene Innenleben zu regulieren. Als unruhiges "weltoffenes" Wesen ohne Instinkte muss er dies tun. Er schafft sich Kultur, um sein eigenes Überleben zu sichern. Das gilt sowohl für den Konsum und Freizeitbereich, als auch für Aspekte wie Partnerwahl, Lebensraumgestaltung und Arbeit, wobei die Arbeit zunehmend spielerische Züge annimmt und Spass machen soll.

Schon 1794 hat der Revolutionsphilosoph Fichte in seinen Jenaer Vorlesungen das "Projekt der Moderne" als "System der Freiheit" entworfen und auch die Organisation gesellschaftlicher Arbeit als "Wechselwirkung durch Freiheit" charakterisiert. "In der freien Kreativität moderner Kunst, der verfassungsgebenden Autonomie konstitutioneller Politik, als strategisches Genie kriegerischer Feldbeherrschung, im ´Wagnis` unternehmerischer ´Risikogestaltung`, - aber auch in der radikalen (Inter-)Subjektivität einer romantischen ´Kunst des Lebens` entwickelte sich ein neues ´konstruktivistische´ Weltverständnis.

Das "Projekt des schönen Lebens" ist die Herausforderung, die in der Erlebnisgesellschaft auf den Einzelnen wartet. Die Welt wird durch sie machbar, gestaltbar und steuerbar. Wie entsteht aber nun diese Erlebnisgesellschaft, in der wir unsere Lebensläufe selbst schreiben müssen?

10. Die Erlebnisgesellschaft

Wissenschaft, Technik und Wirtschaft begannen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die gegebene Welt zu analysieren, was eine immer schnellere Fortschrittsdynamik zur Folge hatte. Das führt dazu, dass der Erlebnismarkt ständig neue Angebote schafft, die zwar variieren, sich aber dennoch an einigen Faktoren wie soziale Erwünschtheit oder der Kombination bewährter Konzepte mit neuen Ideen orientieren. Das erlebnisrationale Alltagshandeln unterliegt auf lange Sicht gesehen einem allmählichen Lernprozess, da die neuen Angebote auch immer das Resultat erinnerter Vorgeschichte sind: Die Erlebnisgesellschaft lebt von der ständigen Neukonstruktion außeralltäglicher Muster, bleibt sich auf allgemeiner Ebene jedoch treu: Die Oberfläche oszilliert, doch die Resultate bleiben die gleichen.

Gescheiterte Erlebnisprojekte führen einerseits zu Unsicherheit und Enttäuschung beim Subjekt, das sich selbst zum Objekt macht, jedoch durch innengerichtete Beobachtung und ständige Selbstkonstruktion des Handelns immer ein reflexives Wesen bleibt und aus seinen Fehlern und den Fehlern anderer lernt.

Sobald die Menschen beginnen, ein Erlebnismuster als Routine zu empfinden, durchbrechen sie diese Routine. Gegenwärtig geschieht das vor allem durch Negation und Stilmittel wie Ironie, "coole Distanziertheit" Eigenständigkeit und Zweigleisigkeit.

Die Ironie greift nicht nur in der Werbung um sich, sie ist auch dort zu finden, wo ein Guildo Horn der "Pflicht zum schönen Leben" beim Grand Prix d´Eurovision de la Chanson Hörner aufsetzt oder wo ein Harald Schmidt sich weigert, weiterhin für SAT 1 zu arbeiten.

Eigenständigkeit spiegelt sich in einem zunehmenden "Do-It-Yourself" Drang der Menschen wieder, die ihr Erlebnisrepertoire dadurch erweitern, dass sie sich die Erlebnisse nicht von Außen holen, sondern sich selbst einen Wok zulegen, statt chinesisch essen zu gehen oder mit Inlineskates dort unterwegs sind, wo sie gerade möchten, statt eine Eislaufhalle aufzusuchen.

Die "Zweigleisigkeit" deutet darauf hin, dass neben der subjektbezogenen Welt auch das Denkmodell vom weltbezogenen Subjet weiterhin eine Rolle spielt: Viele von Einzelnen geschaffene Erlebnisräume werden von einer Vielzahl von Menschen als gegeben betrachtet und infrastrukturell genutzt, ohne dass diese deren Aufbau und Funktion kritisch hinterfragen.

Die Etiketten ändern sich, aber die Grundregeln sozialer Wirklichkeitskonstruktion bleiben die gleichen und langfristig setzen sich auch bei neueren Formen der Erlebniskonstruktion altbewährte Bedürfnisse durch, wie Komfort, Sicherheit oder eben Glück.

Man kann also zusammenfassend sagen, dass die Erlebnisgesellschaft sich ständig neue außeralltägliche Gegebenheiten aneignet, um nicht auf der Stelle zu treten und der Selbstkonstruktion des Individuums immer wieder mit neuen Angeboten entgegen zu kommen. Dabei entsteht das Neue meist mit dem Alten im Hinterkopf. Eine gute Idee wird aufgegriffen, weitergestrickt, optimiert, variiert und kommerzialisiert, bis keiner mehr beispielsweise eine reine Casting-Show sehen will, mit blonden und schwarzen Haaren herumlaufen möchte oder ein Handy bloß zum telefoniere nutzen möchte. Die Erlebnisevolution unterliegt dabei stets individuellen Grundbedürfnissen und orientiert sich an altbewährten Spielregeln: Das "Warenhaus der Erlebnisse" wechselt ständig seine Auslagen, aber die Funktion der Erlebnisse für das Individuum, seine Selbstkonstruktion und die Befriedigung seiner Bedürfnisse ist stets die gleiche.

11. Glück als Ware auf dem Erlebnismarkt

Glück als eines dieser Bedürfnisse und die Suche danach in der Erlebnisgesellschaft hat Thomas Müller-Schneider in seinem Essay "Die Erlebnisgesellschaft – der kollektive Weg ins Glück" näher beleuchtet.

Glück ist hier als positiver innerer Zustand definiert, der durch Erlebnisse bewusst herbeigeführt werden kann. Dabei kann das Individuum entweder die Außenwelt oder die Innenwelt verändern. Dies geschieht durch

- erlebnisorientiertes Situationsmanagement, durch
- gezielte Körpergestaltung oder
- Bewußtseinsmanipulation.

Bei diesem Glückskonzept ist Glück wieder als reine Privatsache zu sehen und das positive Einwirken auf die eigene Gefühlswelt obliegt dem Einzelnen selbst, weder überindividuelle noch religiöse Ordnungen spielen eine Rolle. Die jeweiligen Grundvoraussetzungen für eine erfolgreiche Glücksfindung sind zwar oft durch Sozialisation vermittelt und kulturell überformt und man greift meist auf Angebote anderer zurück, aber es gibt keine allgemeingültigen traditionellen Glücksrezepte mehr.

Zwar gibt es seit jeher Momente individueller Glücksuche, doch in der Gesellschaft nach 1950 sind sie das dominierende Prinzip. Durch die "Wohlstandsexplosion", beispielsweise einem Anstieg der Reallöhne um das vierfache, hat sich das Angebot an Waren und Dienstleistungen vervielfältigt und weiter ausdifferenziert. Die Menschen, auch die Arbeiter, haben mehr Freizeit. Die gesellschaftlichen Zwänge sind insgesamt zurückgegangen: Es gibt keine vorgefertigten Lebensläufe mehr und die Zahl der Möglichkeiten zur eigenen Lebensgestaltung ist unendlich groß geworden. Die Ziele sind unklar, weil sie nicht mehr durch den Zweck des Überlebens vorgegeben sind. Traditionelle Normen und Institutionen haben an Bedeutung verloren, daher ist jeder auf sich selbst gestellt, wenn es darum geht, das eigene Leben zu gestalten.

Das Individuum in der Erlebnisgesellschaft sucht sein Glück auf dem Erlebnismarkt also durch Situationsmanagement. Dies geschieht durch gezielte Auswahl von Gütern und Dienstleistungen. Dadurch gelingt gezielte Selbstdarstellung in Form von Kleidung, Auto, Medien, Urlaub, Extremsport oder Events. Das hedonistische Individuum ist sein eigener "Programmchef". Dies gilt zunehmend auch für den Bereich der Arbeitsplatzwahl: Spaß und Selbstverwirklichung sind heute wichtiger als Existenzsicherung. Kreativität, Erfolg, Bewunderung und Macht sind die eigentlichen Karriereziele. Auch im Bereich der Partnerwahl, beim Ausleben der eigenen Sexualität oder die Frage nach dem Kinderwunsch betreffend gibt es heute keine vorgefertigten oder durch Traditionen bestimmten Lebensmuster mehr. Dies spiegeln die beiden extremen Pole Abtreibung und künstliche Befruchtung wieder: War eine natürliche Schwangerschaft früher primär der erste Schritt in ein Leben mit Kind, so obliegt es heute jedem selbst, ob er Nachwuchs möchte. Die eigenen Lebensumstände bilden häufig die wichtigste Grundlage zur gezielten Familienplanung. Lediglich eines bleibt bisher weiterhin Fortuna überlassen – das Geschlecht des Kindes.

Glücksuche umfasst auch die Körpergestaltung, darunter fallen Bereiche wie psychische und physische Gesundheit, Fitness und Sport, Bodybuilding, Programme zur Gewichtsreduktion ("Weight Watchers") oder auch das äußere Erscheinungsbild. Schönheit als zentraler Wert in westlichen Gesellschaften kann als soziales Kapital gelten und Beziehungen schaffen. Schönheit erzeugt schöne Gefühle auf zwei Wegen: Durch die persönliche Bewertung des eigenen Spiegelbildes und durch positive Sanktionen der Außenwelt. Jemand der sich für schön hält, kann von der Gesellschaft noch einmal zusätzlich als "schön" gelabelt (etikettiert) werden. Dann darf man natürlich das Stilmittel der Dekoration nicht vergessen. Nicht nur Schmuck im traditionellen Sinne dient der eigenen Selbstdarstellung und der Aufwertung des eigenen Körperbewusstseins. Auch dezente Tätowierungen und Piercings werden heute allgemein akzeptiert, was auf einen Normwandel zurückzuführen ist. Durch Schminke, Haarfarbe und Frisur ist jeder seines eigenen Aussehens Schmied. Cremes und Salben gegen Cellulitis und Falten wollen das Ideal der Jugend vom eigentlichen Alter trennen. Jugendliches Aussehen wird weitläufig mit Schönheit gleichgesetzt, wobei die Werbung in den vergangenen Jahren auch zunehmend die Altersgruppe der Senioren entdeckt hat. Man leugnet sein Alter nicht mehr, sondern ist glücklich damit, denn Alter schließt Schönheit nicht mehr aus. Überhaupt wird der Körper nicht mehr als naturgegeben hingenommen, sondern als gestaltbare Plattform angesehen. Durch plastische Chirurgie und kosmetische Operationen sind Körperformen, Gesichtszüge und -Profile wählbar geworden.

Aber auch im Habitus der postmodernen Menschen findet sich verstärkt der man möchte schon fast sagen "Zwang" zum glücklichen Auftreten, indem wahre Gefühle oft hinter einem Lächeln versteckt werden: Die Kulturuniversalie Glück kann auch vorgespielt werden.

In psychologischen Ratgebern wie im Bestseller "Sorge Dich nicht – lebe!" oder in Zeitschriften werden Glücksrezepte propagiert. Therapeutische Angebote und Konzepte werben verstärkt mit glücksfördernden Praktiken: Sie werden positiv vermarktet. Satt "Wege aus der Depression" heißt es "Wege zu einem glücklichen Leben".

Die Werbung macht sich das zunutze, indem sie die Konzepte vom glücklichen Leben anpreist und eine ganze Glücksindustrie vermarktet. Produktnamen wie "Glücksklee", "Lucky Strike", "Frolic", "Glücksspirale" oder Slogans wie "Mehr glückliche Tage durch Zellaforte Plus" lassen das "positiv besetzte Reizwort Glück" ständig im Bewusstsein der Konsumenten klingen. Als besonders originell kann man die Idee, mit einer Glücksfee oder Glückssymbolen zu werben, schon nicht mehr bezeichnen, denn die Grundidee jeglicher Werbung ist es ja schon, ihrer Zielgruppe ein positives und Glück verheissendes Markenimage zu suggerieren. Die Glücksversprechen werden häufig überstrapaziert und damit unglaubwürdig. Wichtig sind in diesem Zusammenhang auch gesellschaftlich vermittelte Glückserwartungen, die in Attributen wie Jugendlichkeit, Schönheit, Gesundheit, Wohlstand, soziale Beziehungen und Lebensgenuss mitschwingen.

Die modernen Erlebnisanbieter verkaufen nicht bloß ein Produkt oder eine Dienstleistung, sondern immer einen Nutzen, der dem angesprochenen Kunden etwas einbringt. Neben Glück kann das auch Spass, Sicherheit, Status, Liebe, Sex, Komfort, Unterhaltung, Stolz, Profit oder beispielsweise Frieden sein. Oder Provokation, um sich abzugrenzen. Dass man Glück lernen kann, davon profitieren auch die Menschen, die Bildungsangebote initiieren. So gab es im September 2005 an der Volkshochschule Aargau in der Schweiz beispielsweise einen Kurs zum Thema "Glück - Frage nach der Lebenskunst" unter der Leitung von Imelda Abbt aus Luzern. An fünf Mittwochnachmittagen konnte man sich gegen eine Gebühr von 130.- Franken auf eine (literarische) Reise ins Land des Glückes begeben.

12. Glück im Kontext von Schulzes Milieumodell

Nach Schulze bildet die Massenkultur der Erlebnisgesellschaft Lebensstile aus, in denen die vertikalen Ungleichheiten äußerlich verwischt sind. Man sieht oder merkt einem Menschen durch Auftreten oder Habitus nicht zwangsläufig seinen sozialen Status an. Außerdem sind diese Lebensstile allgemein zugänglich und nahezu frei wählbar, sie entstehen durch Erlebnispräferenzen bestimmter Alters- und Bildungsgruppen. Burkhardt hat das treffend formuliert, indem er sagte: "Die Hochkultur ist auch eine Subkultur neben anderen."

Schulze hat drei alltagsästhetische Schemata unterschieden und dann eine weiterführende Differenzierung nach fünf Milieus durchgeführt, die sich durch ihre "Alltagsästhetik" unterscheiden: Niveau-, Harmonie-, Integrations-, Selbstverwirklichungs- und Unterhaltungsmilieu. Kritisch anzumerken ist, dass Schulze dabei nur Lebensstile betrachtet hat, er lehnt sowohl den Klassen- als auch den Schichtbegriff ab. Die Untersuchung, die seiner Veröffentlichung zugrunde liegt, fand nur 1985 in Nürnberg statt, kann also kaum als repräsentativ angesehen werden. Wichtig ist auch, festzuhalten, dass es sich bei Schulzes Skizze eben nur um einen Erklärungsversuch - um ein Modell - handelt. Das Sinusinstitut in Heidelberg hat 1983 ein ähnliches Milieumodell entwickelt, bei dem nicht die Komponenten Alter und Bildung, sondern Schichtzugehörigkeit und Werteorientierung eine zentrale Rolle spielen.

Durch das Differenzierungsmerkmal des Alters lässt sich bei Schulze beispielsweise Harmonie- und Unterhaltungsmilieu unterscheiden. Auch das Geschlecht ist ein wichiger Unterscheidungsfaktor. Das Niveaumilieu besteht hauptsächlich aus älteren Männern und das Harmoniemilieu eher aus Frauen, zum Integrationsmilieu gehören sehr viele gehobene ältere Frauen. Die Erlebnismentalität kommt am deutlichsten in der jüngeren Generation zum Ausdruck. Hans-Peter Müller meint sogar: "Genau genommen trifft die Erlebnisorientierung nur auf die beiden jüngeren Milieus mit ihrer starken Ich-Verankerung zu."

Im Kontext der Diskussion um die zunehmende Individualisierung hat Schulze in seinem Modell dem Glück einen besonderen Stellenwert zuerkannt. Für ihn stehen Glückserlebnisse im Zusammenhang mit dem "Projekt des schönen Lebens", welches das "Projekt das guten Lebens" abgelöst hat.

Allgemein lässt sich sagen, dass die Hochkultur auf Perfektion hinzielt, sich also beispielsweise hohe berufliche Ziele setzt. Das Trivialschema sucht sein Glück, indem es nach Harmonie strebt, Gemütlichkeit sucht und Schwierigkeiten aus dem Weg geht. Dass man in der westlichen Welt beruflich auf Nummer sicher geht, stellte schon David Riesman Anfang der 50er Jahre innerhalb der amerikanischen Gesellschaft fest: "As some fortune surveys indicate, a safe and secure job may be preferred to a risky one involving high stakes." Geld macht nicht glücklich, aber es beruhigt. Finanzielle Sicherheit ist ein erstrebenswerteres Ziel, als Reichtum, der an das Risiko gekoppelt ist, finanzielle Verluste zu erleiden.

Schon Jutta Bauers literarische Figur "Selma das Schaf" beweist, dass ein bescheidenes Leben ohne große Herausforderungen durchaus beglückend sein kann: Routine und Alltag geben Sicherheit. Reichtum und Glück scheinen sich dagegen eher im Wege zu stehen: Einer Studie der "School of Economics" in London zufolge führen Spitzenverdiener mit weitem Abstand die Liste der Depressiven und Selbstmörder an. Trotzdem existiert in den Köpfen der meisten "unbetuchten Menschen" immer noch die Auffassung, dass Reichtum glücklich macht. Laut einer Studie des GfM-Getas-Institutes (heute IPSOS GmbH) glauben 53 Prozent aller Deutschen, dass mehr Geld glücklicher macht.

Im Jahre 1999 gaben laut IDA ebenfalls 47 Prozent "mehr Geld haben" an, als sie gefragt wurden, "was sie denken, was Menschen glücklich macht". Aus jüngeren Studien im Jahre 2000 geht dagegen hervor, dass über zwei Drittel der Befragten davon überzeugt sind, dass Geld und Glück nichts miteinander zu tun haben, Geld und Freiheit allerdings schon (77 Prozent).

Zu einem Modewort innerhalb der Glücks-Diskussion und der Frage nach Selbstverwirk-lichung ist der Begriff "Flow" geworden. Er bezeichnet außergewöhnliche Erfahrungen und optimales Erleben. Man kann von einem höchst erwünschten Zustand sprechen, in dem der Mensch seine Einbindung in Zwecke und Ziele hinter sich lassen und in ein befreiendes Stromerlebnis eintauchen kann. Er erlebt eine autholetische Erfahrung, die sich selbst genügt. Zu den Flowerlebnissen zählen alle Aktivitäten, die in sich lohnend sind und so glücklich machen, dass man sie ohne vorausschauendes Handeln und ohne an die Zukunft gebundene Erwartungen ausführt.

Flowerlebnisse können sich im Sport- und Freizeitbereich und im besten Falle auch im Job einstellen und die meisten Menschen haben schon einmal solche Situationen erlebt, die sie dann auch mit den Orten verknüpfen, an denen diese eingetreten sind. Edgar Wallace antwortete einmal auf die Frage, wann er Glück fühle: "Auf der Bühne!" Damit, eine erfüllende Aufgabe im Leben zu haben, ist für viele auch der eigene Lebenssinn verknüpft, der von mehr als zwei Drittel der Deutschen im Jahre 1999 als Glück bringend empfunden wurde. Eine Lebensaufgabe muss nicht beruflicher Natur sein, auch ein als Lebensinhalt empfundenes Hobby kann einen weniger glücklich machenden Beruf und andere negative Lebensumstände kompensieren - unabhängig von Gehaltsvorstellungen oder Verdienst-möglichkeiten.

13. Die Trivialisierung von Bedürfnissen

Der Übergang von der Massenkultur zur Erlebnisgesellschaft zeichnet sich durch einen Wandel in den Köpfen derjenigen Menschen aus, sagt Kaspar Maase, die die "allgemeine Meinungsführerschaft" für sich beanspruchen und Glückserlebnisse innerhalb von intellektuellen Tätigkeit suchen – die Akademiker als selbsternannte Werteelite.

Gruppen mit hohem sozialem Status haben sich innerhalb der vergangenen Jahrzehnte nun Qualitäten angeeignet, die früher als vulgär galten, wie Spannung, Tempo, Körperlichkeit, Überwältigung der Sinne, Überraschung oder Faszination durch Technik. Sie suchen ihr Glück also außerhalb ihrer ursprünglichen gruppenspezifischen Grenzen. Populäre Unterhaltung und Popkultur allgemein werden heute verstärkt toleriert, akzeptiert, konsumiert und angeeignet. Vor allem diejenigen Akademikergruppen, die sich durch materialistisches Unternehmerdenken auszeichnen, selbständige Ärzte beispielsweise, sprangen sehr schnell auf den Konsumzug auf und konsumierten Glücksprodukte und Glückserlebnisse nicht minder intensiv, als der Rest der Bevölkerung.

Das hat zwei weitere Entwicklungen zur Folge: Bei einigen Vertretern der unteren Statusgruppen im theoretischen Modell der Massenkultur wächst dadurch das kulturelle Selbstvertrauen. Aufstiegsorientierte und Integrationswillige haben die Chance, Handlungsfähigkeit und neue Perspektiven zu gewinnen. Bei anderen differenzieren sich als Reaktion auf die Vereinnahmung neue geschmacklose oder provokante Ausdrucksformen heraus - sogenannte "negative Identitäten".

Auch unterscheiden sich die Lebensmuster junger Akademiker heute kaum noch von denjenigen der Klasse der jungen Arbeitnehmer, die dadurch, dass die über die höhere Kaufkraft verfügen, allerdings immer noch diejenigen sind, die durch ihre Konsum- und Freizeitentscheidungen bestimmen, was auf dem Markt erfolgreich ist. Wenn man die Themen von Referaten und Hausarbeiten an deutschen Universitäten jedoch mit denen von vor 40 Jahren vergleicht, sieht man, dass die populäre Kultur verstärkt zum Studienobjekt wird. Auch findet man ein neues Spezialistentum unter denjenigen Akademikern die in den Bereichen Action, Outdoorsport, Rockmusik, Medien oder Populärunterhaltung diskursfähig sind. Es entstehen aus diesen für die Universität außeralltäglichen Bereichen sogar neue Studiengänge wie beispielsweise "populärer Musikjournalismus". Erlaubt ist, was glücklich macht. Die Universität ist ein perfekter Raum für das Aufkommen neuer trivialerer Glücksrezepte auf dem intellektuellen Sektor, da die akademische Freiheit hier kaum Grenzen setzt.

Hier findet eine Entwicklung statt, innerhalb derer das symbolische Kapital neu definiert wird. Es bilden sich neue Zugangschancen aus und es wandelt sich die Stellung aller Lebensstile im kulturellen Raum, der dadurch homogener wird, aber auch die Zutritts-schwellen neu festlegt und neue Abgrenzungen schafft. Es bilden sich also neue Ziel-Mittel-Divergenzen aus.

Auch bildet die "Massenkultur für jeden" neue Muster sozialer Ungleichheit heraus, indem sie bei Sport- oder Musikevents, bei Reiseangeboten oder im Bereich der Waren und Dienstleistungen Preisbögen schafft, die Zuschauer und Konsumenten in vertikale Klassen einteilen und ihnen Privilegien einräumen – je nach Geldbeutel.

Ebenso spielt das äußere Auftreten und das Erscheinungsbild einer Person eine immer größere Rolle. Viele Türsteher in Clubs selektieren nach rein optischen Gesichtspunkten und Konzert-Veranstalter gehen sogar so weit, ihrem Publikum vorzuschreiben, wie es gekleidet sein soll. So hiess es in der Pressmitteilung zum Abschlusskonzert von Thomas Schwaabs "Made in Germany" Tour, welches unter dem Motte "Ganz in Weiß" stattfinden sollte, die Zuschauer mögen doch bitte in weißen Kleidern und Anzügen erscheinen.

Auf der Seite der negativen Selbstdarstellung lässt sich ähnliches beobachten: Karl Homuth hat bei langzeitarbeitslosen Jugendlichen beobachtet, dass sie sich selbst stigmatisieren, indem sie ihre Identität dadurch konstruieren, dass sie neue Formen von Peinlichkeit, Armut, Schmutz, körperlicher Gewalt und Sinnlosigkeit zu Symbolen und Darstellungsformen eines verspielt negativen Images ausdifferenzieren. Man muss sich nur einmal die TV-Sendungen zwischen 8 und 17 Uhr ansehen um festzustellen, wie Wrestlingshows, Formate wie MTV Jackass, Talksendungen mit extrem trivialen Themen oder an Peinlichkeit grenzende Gerichtsshows die Zustimmung der zuhause sitzenden TV-Konsumenten herausfordern.

Hier sei auch einmal auf die letzte Plakatkampagne von Radio Antenne West in Trier verwiesen, die durch "Geschmacksverletzung" der gängigen Werbe- und Schönheitsideale eindeutig nicht Schulzes Selbstverwirklichungs- oder Niveaumilieu ansprechen wollte, aber zu plump war, um unter die o. g. Kategorien "coole Distanziertheit" oder "Ironie" zu fallen. Ob der Anblick die Trierer glücklich gemacht hat, darüber lässt sich streiten.

Der vulgäre Muskelmann vom Jahrmarkt hat also zunächst den Kraftsport in sozialen Gruppen popularisiert, die nicht durch Intelligenz punkten konnten. Dann wurde der durchtrainierte Körper in Fitnessstudios als Ausdrucksform massen-gesellschaftsfähig und auch für elitärere Klassen attraktiv. Zeitschriften wie "Fit For Fun" haben neben Fitnesssendungen im Fernsehen dazu beigetragen, aber auch Idole wie Arnold Schwarzenegger.

Als selbst die Akademiker diese Form der Erlebnissuche und Selbstdarstellung für sich entdeckten, erschuf die Kulturindustrie den vulgären Muskelmann vom Jahrmarkt neu, um durch Wrestlingshows die perspektivelosen Schichten als Unterhaltungspublikum zu gewinnen.

Maase sagt "Der Mechanismus von Provokation, Vermarktung, Anpassung und Integration, dem eine neue Spirale von Ausbruch und Vereinnahmung folgt, ist vielfach als Bewegungsform der Massenkünste beschrieben worden." Unlängst geschehen ist dies bei den jüngeren Stilrichtungen der Rock- und Popmusik – Punk, Grunge und Emo – und ihren jugendkulturellen Darstellungformen und Symbolen, aber auch beim HipHop. Lediglich die Technokultur bildet hier eine Ausnahme, da sie von vorne herein eine von der Kulturindustrie konstruierte Jugendkultur für die breite Masse war, deren Aneignung niemals mit negativen Sanktionen durch die übrige Gesellschaft verbunden gewesen ist und deren Anhänger die Ausdrucksformen derselben außerhalb der Arbeitswoche frei an- und abwählen konnten. Die Loveparade gibt es trotzdem nicht mehr.

Bei den anderen Stilen haben sich nach der Vermarktungswelle noch Hardcoreszenen gebildet, die sich durch strikte Ablehnung der massenwirksam gewordenen Stilmittel erneut abzugrenzen versuchten, aber selbst dies änderte nichts daran, dass die nächste Generation von Teenagern nach völlig neuen Ausdrucksformen suchte, womit der Niedergang des Punk genauso besiegelt war, wie man in vielleicht fünf Jahren auf dem Musikmarkt vergeblich nach neuen Emocore-Veröffentlichungen suchen wird. Niemand zeigt sich von einem Punk mit buntem Irokesenschnitt heute wirklich noch provoziert und es verwundert, dass es immer noch vereinzelt Jugendliche und junge Erwachsene gibt, die mit dieser persönlichen Ausdrucksform glücklich sind.

Die "Geschmacklosigkeit bis zur Schmerzgrenze" erfasst nahezu alle Bereiche des Konsums, in denen Globalisierungsverlierer und sozial Benachteiligte nach Identitätsstiftung suchen können. Ein Forum finden diese Selbstdarsteller nicht selten in Talkshows, wo sie ihre glücklich machenden "negativen Lebensentwürfe" lautstark demonstrieren können. Es gibt also eine neue Zwiespaltung der Gesellschaft: Da, wo das vulgäre gesellschaftsfähig wird, entstehen neue Spielarten der Vulgarität.

Die Trivialisierung von Bedürfnissen schließt natürlich auch das Glück mit ein. Es wird vermarktet und kommerzialisiert, als "triviales Glück" tituliert und als machbar entlarvt. Dadurch erfährt beispielsweise das sogenannte "kleine Glück" verstärkt Distanz und Abwertung in intellektuelleren Kreisen, die sich aber auch in der trivialen Glücksschublade bedienen. Was Kaspar Maase für die Erlebnisgesellschaft selbst festgestellt hat, kann man also auch auf das Glück beziehen.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Erlebnisgesellschaft sich ständig neue Formen der Außeralltäglichkeit aneignen muss, die durch massenhafte Vermarktung Teil der Trivialkultur werden. Sobald ihre Güter und Dienstleistungen alltäglich oder gewöhnlich werden, können sie nicht mehr glaubwürdig der Identitätsstiftung des glücksuchenden Individuums dienen, dass sich jeglichem Pluralismus durch erlebnisrationales Handeln angepasst hat und sich dadurch selbst konstruiert. Dies führt einerseits zu einer gesteigerten Aneignung außeralltäglicher wie auch trivialkultureller Elemente innerhalb der Bildungselite, wodurch der soziale Raum homogenisiert wird. Als Folge findet man verstärkt Ausdrucksformen, die sich durch die Schlagwörter Ironie, Eigenständigkeit und Zweigleisigkeit charakterisieren lassen. Andererseits entstehen neue außeralltägliche Muster in den unteren sozialen Schichten, die sich nicht mit der Masse und deren Lebensstilmilieus identifizieren, weil sie sich sonst selbst als Modernisierungverlierer definieren müssten. Parodie und Vulgarität sind an der Tagesordnung.

Außeralltägliche Elemente betreten die Erlebnisgesellschaft allerdings selten auf natürlichem Wege, sondern werden von der Kulturindustrie konstruiert, die ihre Trendscouts daher vor allem dort hin schicken muss, wo Szenen sich von der Massenkultur symbolisch und habituell abgrenzen und noch innovative Erlebnisideen geboren werden.

14. Glück und Tabugrenzen

Besonders am Beispiel des Piercings wird deutlich, wie außeralltägliche Stilmittel, die früher eher Randgruppen immanent waren und Schockwirkungen provozierten oder an Tabugrenzen stiessen, durch Normenwandel alltäglich und als glückbringend anerkannt werden können. Provokante Darstellungsformen werden gezielt vermarktet, um dem Abgrenzungswunsch Jugendlicher entgegenzukommen. Dadurch schleifen sich die provokanten Elemente ab bis zur Alltäglichkeit. Andere Beispiele neben Tätowierungen oder Brandings (Brandzeichen) sind Punkoutfit, Heavy Metal Musik oder Wrestling, wobei das Wrestling gezielt der Suche nach Geschmacklosigkeit entgegen kommen soll.

Auch die Reality Show "Big Brother" sorgte für reichlich Zündstoff und Diskussionsmaterial, als es um die Frage ging, wo die Grenze zwischen Selbstdarstellung und Schutz der Privatsphäre zu ziehen ist. Als sich die Zuschauer schließlich an das Format gewöhnt hatten, sank mit der Anzahl der Schlagzeilen auch die Zuschauerquote. Bei vielen Extremsportarten wie beispielsweise Bungée Jumping fand das gleiche Spiel statt: Empörung und Diskussionen in der Öffentlichkeit. Heute spricht keiner mehr darüber. Das Außeralltägliche ist normal geworden. Sogar uninteressant.

Alfred Bellebaum spricht von einem "anything goes" - alles ist erlaubt. Besonders interessant findet er Glücksgefühle und Glücksvorstellungen, die tabuisiert sind. "Wenn man - was gewagt ist - Glück und Lust gleichsetzt, gibt es ja Menschen, die eine unbändige Lust haben, Frauen zu vergewaltigen oder kleine Kinder. Hier hört anything goes natürlich auf." sagt er. Damit meint er, dass das, was das Individuum als lustvoll empfindet, im Extremfall durch gesellschaftliche Normen begrenzt sein muss, damit menschliches Zusammenleben funktionieren kann. Das Glück eines Menschen hört, um mit Durkheim zu argumentieren, also da auf, wo das Glück eines anderen Menschen gefährdet ist oder gesellschaftliche Zwänge eine Grenze setzen müssen.

Wenn beispielsweise jemand sein Glück darin sieht, abends vor dem Fernseher vier Flaschen Bier zu trinken, so kann ihm das niemand verwehren. Wenn der gleiche Mensch sich nach dem Abspann des Films allerdings noch betrunken hinters Steuer setzt, wird er mit gesellschaftlichen Sanktionen rechnen müssen, da er möglicherweise den Fußgänger gefährdet, der sein Glück darin sucht, in der Kühle der Nacht noch einen Spaziergang zu machen und dabei eben die Straße zu überqueren, auf der der angetrunkene Autofahrer unterwegs ist. Rein hypothetisch.

15. Glück in der Literatur

Die Liste der Veröffentlichungen zum Thema Glück ist lang und es scheint fast, als ob die Menschen um die Jahrtausendwende besonders empfänglich für das Thema seien. Egal ob "Die Glückstrainer" und "Glücksgefühle bis zum Abwinken" von Ella Kensington, "Der Weg zum Glück" und "Die Regeln des Glücks" vom Dalai Lama oder das auf "Sendung mit der Maus Niveau" formulierte "Hectors Reise oder die Suche nach dem Glück" von Francois Lelord und Ralf Pannowitsch - Lebensentwürfe, Erlebnisrezepte und Tipps gegen die allgemeine Normlosigkeit unserer Gesellschaft haben Hochkonjunktur. Das DTV-Lesebuch "Glück. Ein Lesebuch zur Lebenskunst" vereint Texte über Glück von Viktor E. Frankl, Friedrich Nietzsche, Erich Fromm, Khalil Gibran und vielen andern.

Im 2002 bei Rowohlt erschienenen Bestseller "Die Glücksformel" von Stefan Klein wird die Grundthese vertreten, dass man Glück trainieren kann, weil es im Kopf entsteht. Das Werk bietet ein guten Überblick über theoretisches Fachwissen aus dem Bereich der Neurobiologie und streut lebensnahe Beispiele mit ein. Neue und interessante Forschungsergebnisse zum Thema Gefühle, Zufriedenheit, Leidenschaft und Lust werden zusammen mit Tipps für das persönliche Glücksmanagement einer breiten Leserschaft zugänglich gemacht. Bei Amazon.de ist man mit dem Preis gerade von 19,90 Euro auf 7,95 Euro runter gegangen.

Im deutschen Buchhandel gibt es über 1200 Titel über Glück, nur etwa 40 behandeln das Unglück. Amazon.de listet sogar 2800 deutsche Glückstitel auf.

Goethe stellte fest, dass das Glück buchstäblich auf der Straße liegt: "Willst Du immer weiter schweifen? Sieh, das Gute liegt so nah. Lerne nur das Glück ergreifen: Denn das Glück ist immer da." Trotzdem gilt für die Literatur im speziellen, was für die Kunst im Allgemeinen gilt: "Glück bleibt oft eher Sehnsucht als Erfüllung." Für Hermann Hesse war das "Glück" mit der "Liebe" gleichzusetzen: "Glück ist Liebe, nichts anderes. Wer lieben kann, ist glücklich."

Die berühmteste literarische Figur auf der Suche nach dem Glück dürfte die Grimmsche Märchengestalt "Hans im Glück" sein, der nach langem Suchen und Tauschen feststellt, dass jegliche Habe auch immer eine Last sein kann und die Suche nach Erlebnissen und Besitztümern auch immer damit verbunden ist, dass man durch das in Betracht ziehen einer einzigen Möglichkeit alle anderen ausschließt. "So glücklich wie ich", ruft er erleichtert aus, "gibt es keinen Menschen unter der Sonne", als ihm der nach mehrmaligem Handeln und Feilschen gegen eine Gans eingetauschte Wetzstein in einen Brunnen fällt und er plötzlich keinen Glück versprechenden Besitz mehr mit sich herumträgt.

16. Glück in den Medien

Das literarisch interessante Thema Glück hat auch die Medienlandschaft erobert: Glück wird thematisiert und Glückskonzepte werden in die Handlung von Geschichten, Filmen und Serien mit eingewoben - nicht selten als Erlebnisangebot zum nachvollziehen und nachahmen. So schuf die Marketingabteilung der Trierer Tageszeitung "Trierischer Volksfreund" die Figur "Lucky", unter deren Pseudonym Journalisten beispielsweise die Lebensumstände in Dörfern im Raum Trier testeten und Punkte dafür vergaben, wie glücklich die Einwohner verschiedener Gemeinden mit ihrem Heimatort waren. Die 224-Folgen starke ZDF-Serie "Bianca - Wege zum Glück" zog 2005 die Telenovela "Julia - Wege zum Glück" im gleichen Programm nach sich.

Im Gewirr der Glücksangebote wird es zunehmend schwerer, den Überblick zu behalten. Diesem Glücksbedürfnis kommt die Kulturindustrie entgegen, indem sie vorselektiert und Tipps zum Glücklichsein liefert. Mehr oder weniger wissenschaftlich hinterlegte Glückskonzepte werden in Zeitungen und Zeitschriften, im TV, im Internet und auf Video angepriesen. Die angebotenen Wege zum Glück decken ein breites Feld von Erlebnisfeldern ab, darunter Ehe, Familie, Freundschaft, Sex und Musikhören.

Die Glücksstrategien der visuellen Medien lassen sich in vier Gruppen kategorisieren: Zum einen gibt es Ratgebersendungen, die den Menschen zu Glück verhelfen wollen – seien es Gesundheitsratgeber oder Reihen mit TV-Psychologen. Dann findet man häufig Sendungen, die ein Forum zur Selbstdarstellung bieten, wie Reportagen oder Talkshows: Hans Meiser, Jürgen Fliege, Arabella und Johannes B. Kerner lassen die Menschen erzählen, was sie sich unter Glück vorstellen. In TV-Magazinen werden Lebensentwürfe präsentiert und traditionelle Glückserlebnisse neben außeralltäglichen Glücksmomenten eingefangen. Dabei spiegelt sich im TV-Bereich die kulturelle Pluralisierung besondert deutlich wieder: Während RTLII oder Viva das postmoderne Glück der entdifferenzierten Lebensläufe inszenieren

und die Singles als Zielgruppe anvisieren, geht es bei den öffentlich-rechtlichen und den Kultursendern häufig noch traditioneller zu. Weiter trifft man auf Formate, in denen Journalisten oder Moderatoren in die Rolle des Gücksbringers schlüpfen und Liebesbriefe überbringen oder Streit schlichten. Und schliesslich existieren neben diesen neueren Formen auch noch die altbewährten Lotterien, Quizshows, Überraschungssendungen und Schönheitswettbewerbe, wenn auch in neuer Form verpackt präsentiert, die für den Einzelnen Gelegenheiten schaffen, Glück zu haben und dies medienwirksam dem Publikum im heimischen Wohnzimmer präsentieren.

Eine der berühmtesten TV-Figuren auf der Suche nach dem Glück war Herr Rossi, eine kurzbeinige Zeichentrickfigur, deren Kultstatus heute nur noch durch den Antihelden und Pechvogel "Bernd das Brot" gebrochen werden kann. Was die beiden gemeinsam haben? Sie werden von Erwachsenen ebenso geliebt wie von Kindern. Bei Herr Rossi´s TV-Präsenz handelte es sich um eine Serie des italienischen Trickfilmers Bruno Bozzetto, der bereits 1960 erste Kurzfilme mit der sympathischen Figur produzierte. 1976 und 1977 folgen dann drei Vierteiler unter dem Namen: "Herr Rossi sucht das Glück". Als reine Kinderserie erfreuten sich die "himmlischen Glücksbärchis" so großer Beliebtheit, dass sie eine ganze Reihe von Video- und DVD Serien und Merchandisingartikeln nach sich zogen. Als moderne Engel aus dem Wolkenland halfen sie traurigen und in Schwierigkeiten geratenen Menschen.

Filme, Quizshows und weitere TV-Formate bedienten sich beim Glück: Der Glücksdrache "Fuchur" erlebte zusammen mit dem kleinen Helden Adreju in der "Unendlichen Geschichte" seine Abenteuer und bei der Sat1-TV Rateshow "Glücksrad" war nicht nur der Zufall im Spiel. "Die Glücksritter" hieß nicht nur ein Film mit Dan Aykroyd und Eddie Murphy, sondern auch der Titel einer Spielshow, die von 1996 bis 1998 auf RTL lief.

Besonders beliebt ist auch das "gekaufte Glück" dass 1988 erstmals in einem Schweizer Filmtitel auftauchte. Eine Gruppe von Jugendlichen aus dem Raum Trier rund um den Regisseur Achim Wendel drehte an Schauplätzen in der Vulkaneifel und an der Mosel einen sozialkritischen Amateur-Streifen über Drogenmissbrauch unter dem gleichen Titel. Aufgezeigt wurde die Drogenkarriere eines 17jährigen Mädchens, das sein Glück in künstlich herbeigeführten Rauschzuständen suchte. Die Premiere von "Gekauftes Glück" fand am 31. Oktober 2001 im Moselkino Bernkastel-Kues statt.

Bei all den Glücksfilmen und -serien bleibt eines zu sagen: Fernsehen macht nicht glücklich! "Die meisten Menschen sind unglücklich, weil sie, wenn sie glücklich sind, noch glücklicher werden wollen." sagte die Schauspielerin Ingrid Bergmann bereits im vergangenen Jahrhundert.

Es scheint jedoch eine Ausnahme zu geben: "Während Personen, die allgemein viel fernsehen, weniger glücklich sind, sind die, die viele Soap-Operas sehen, glücklicher, als der Durchschnitt." fanden 1993 die Medienwissenschaftler Lu Luo und Michael Argyle heraus. Mit dieser Erkenntnis wirbt die ARD-Soap "Verbotene Liebe" sogar in ihrer Imagebroschüre.

Auch in Zeitschriften wie "Maxi", "Das goldene Blatt", "fit for fun", "Petra" und "Cosmopolitan" tauchen Beiträge über "Glück" auf. Die Grundaussage der Glücksberichte ist die, dass Glück keine Glücksache ist. Glück als Gut ist lernbar und man kann es sich aneignen – ähnlich wie "Charisma". Wenn einem dazu die genetischen Voraussetzungen fehlen, helfen journalistische Psychotests zu Themen wie "Haben sie Talent zum Glücklichsein?", zu einer "realistischen Selbsteinschätzung" zu kommen und Glücksstrategien zu entwickeln.

So titelte die Frauenzeitschrift "Allegra" im August 2005 "Alles Glückssache? – Was sie über den Zufall wissen sollten". Dahinter verbarg sich der Erlebnisbericht einer Journalistin, die sieben Tage lang die sieben geläufigsten Glücksformeln aus der Glücks-Ratgeber-Literatur ausprobierte und für die Leser unter anderem im Schwimmbad vom Fünf-Meter Turm sprang, um die Macht der Gewohnheit zu durchbrechen.

Die englischsprachige Version des "Time Magazine" veröffentlichte im Januar dieses Jahres eine Ausgabe zum Thema "The Science of Happiness", in der die Glücksforschung zum Gegenstand populärwissenschaftlicher Betrachtung wurde. Und in der Zeitschrift "Focus” wurde im September 1999 sogar eine "Weltrangliste der sehr Glücklichen” veröffentlicht.

17. Persönliches Glücksmanagement durch Musik

"Wir können glücklich sein und trotzdem Konzerne leiten" singt die deutsche Band "Wir sind Helden" in ihrem Lied "Müssen nur wollen". Wenn man sich die Mühe macht, bei der Lyrics-Suchmaschine www.letssingit.com einmal danach zu forschen, wie oft Songwriter und Musikproduzenten auf das Glück zurückgreifen, stellt man fest, dass es sehr viele Menschen zu musikalischen Themen inspiriert hat: Allein 25 Titel der spanischen Rock- und Popmusik tragen das Wort "suerte" (span. "Glück") oder Abwandlungen des Wortstammes "felice" (span. "glücklich") im Titel. Bei den englischsprachigen Songs taucht das Wort "fortune" ebenso häufig in der Liste der Tracks auf. Worte wie "luck" oder "lucky" werden sogar über 170mal innerhalb von Liedbezeichnungen genannt. Und es gibt über 50 Bands und Interpreten, die sich mit dem Namen "Happy" und entsprechenden Zusätzen wie "Family", "Nation" oder "End" schmücken.

Dass Glück und Musik eine Wahlverwandtschaft eingegangen sind, merkt man daran, dass bei glücklichen Menschen sprichwörtlich "der Himmel voller Geigen" hängt und dass in vielen musikwissenschaftlichen Studien nachgewiesen worden ist, dass musizieren und Musik hören glücklich macht. Musik, die wir als extrem schön empfinden, trägt zur Aktivierung genau derjenigen Teile unseres Gehirns bei, die auch an der Verarbeitung primärer Belohnungsreize durch Sex oder Nahrung beteiligt sind, auch wenn sie nicht die Reizcharakteristika klassischer Belohnungsreize besitzt.

Auch die Presse ging dem Zusammenhang zwischen "Glück" und "Musik" in der Vergangen-heit häufig auf den Grund und suchte nach Antworten im Bereich der Hirnforschung und innerhalb der Welt der Schallwellen. "Wie verarbeitet das Gehirn akustische Signale? Wie gut oder schlecht ist datenreduzierte Musik? Welche Töne machen glücklich?" fragten zwei Journalisten der Zeitschrift "Audio" im vergangenen August in ihrem Artikel.

Ein wichtiges Motiv, warum wir uns Musik auf CD kaufen, im Fernsehen angucken, darüber lesen oder selbst lernen, Musik zu machen, ist das der "Selbstverwirklichung". Wir setzen uns mit Musik auseinander und eignen uns diese an, um unsere eigenen Emotionen und Affekte entfalten - auch um Glück zu empfinden. Wir sagen es durch die Musik, drücken uns damit aus, bereichern unseren Gefühlshaushalt und kontrollieren unser seelisches Gleichgewicht damit, egal ob wir auf einem Instrument rumhämmern, im Auto bei unserem Lieblingshit mitsingen oder uns bei Liebeskummer mit einer Depri-CD im Schlafzimmer einsperren. Musik entlastet uns davon, unsere Gefühle in Worte zu fassen. Damit aktivieren und managen wir unsere Stimmungen. Und je mehr Leute um uns herum das Gleiche tun, in einem Musikverein oder auf einem Rockkonzert, desto stärker finden wir unsere eigenen Gefühle bestätigt. Kollektives Glück ist - gemeinsam erlebt - viel intensiver, als einzelnes Glück.

Auch sind es die Kompetenzerfahrungen im Zusammenhang mit der Musik, die gerade bei Jugendlichen eine sehr große Rolle spielen. Während es im Beruf oder im Sport eher die "Könner" sind, die Ansehen geniessen, bilden Rock- und Pop-Musik ein Spezialistentum von "Kennern" heraus, die Glückserfahrungen dadurch machen, dass sie in der Diskussion um Musikgruppen und Stile die Nase vorn haben und dadurch innerhalb ihrer jugendlichen Bezugsgruppen Ansehen genießen. Spezialisten können damit sogar Geld verdienen und die neuesten Studiengänge ("Musikbusiness") tragen dieser Entwicklung Rechnung.

18. Glücksspiele

In einer Seminararbeit über "Glück" dürfen natürlich die "Glücksspiele" nicht fehlen. Da wir heute über mehr Freizeit und mehr Einkommen verfügen als unsere Großeltern, hat auch das "Spiel mit dem Zufall" eine rasche Verbreitung erfahren. Dadurch ist sogar ein gesamtes soziales Milieu neu entstanden, wenn man Gerhard Schulze glauben will: Das Unterhaltungsmilieu. Die Menschen, die Schulze diesem Milieu zuordnet, sind junge Leute mit mittleren oder niedrigen Bildungsabschlüssen. Sie zeichnen sich unter anderem dadurch aus, dass sie häufig Spielsalons oder Casinos aufsuchen. Aber auch Leute, die nicht Schulzes Unterhaltungsmilieu angehören, spielen gerne mit dem Glück: Allein 20 Millionen Deutsche frönen regelmäßig Glücks- und Gewinnspielen, einer Freizeitaktivität, die gemessen an der Anzahl ihrer Anhänger nur von Musikhören und Fernsehen übertroffen wird. Der Jahresumsatz von Wettbüros, Lotterien und Spielbanken betrug 1997 über 31 Milliarden Mark und die Branche boomt.

Die ersten Lotterien lassen sich in den USA auf das Jahr 1712 zurückdatieren. Sie boten erstmals potentiell allen Bürgern die Möglichkeit, zum "Glückspilz" zu werden, da die Einsätze für jeden erschwinglich waren. Damit entwickelte sich das Glücksspiel Lotto zu einem Massencasino, deren Spieler sich heute mittwochs und samstags vor dem Fernseher versammeln. Dadurch sanken die Gewinnchancen aber auch auf ein Minimum. Die Wahrscheinlichkeit, im Spiel "6 aus 49" sechs richtige Zahlen zu tippen, lässt sich genauestens anhand der Gesetze der Wahrscheinlichkeitsrechnung herleiten. Er beträgt 0,00000715 Prozent.

Da das Glück streng mathematisch gesehen kein Gesetz kennt, ausser den Gesetzen der Wahrscheinlichkeit, kann man Lotto durchaus als demokratisches Glücksspiel mit gerechten Gewinnchancen bezeichnen. Grundsätzlich holen die Lottobetreiber jedoch ein Vielfaches ihrer Ausspielungen wieder rein und es wäre nicht lohnenswert, eine Million Lottoscheine auszufüllen, da die Wahrscheinlichkeit, zumindest den Einsatz wieder herauszuholen, geringer ist, als die Wahrscheinlichkeit, den Hauptpreis zu gewinnen. Also lohnt sich Lotto auch nur für Leute, die mit minimalem Einsatz ein Glücksspiel betreiben möchten und an das große Glück glauben.

Man kann zwei Gruppen von Glücksspielen unterscheiden, solche, die den Zufall für sich arbeiten lassen und solche, bei denen es um Geschicklichkeit geht. Zur ersten Gruppe gehören Automatenspiele, Karten-, Würfel- und Brettspiele. In vielen Spielen für Kinder und Erwach-sene wie beim "Spiel des Lebens" kommt anstelle eines Würfels ein Glücksrad ins Spiel. Bei vielen dieser Spiele ist eine gewisse Kombinationsgabe vonnöten, um zu den Gewinnern zu zählen. Beim Skat werden verschiedene Aspekte Kombiniert: Ein Skatspieler verdankt sein gutes Blatt auf der Hand zwar dem Zufall, muss aber auch geschickt kombinieren können, welche Spielzüge ihm Vorteile verschaffen. Losspiele und Tombolas zählen zu den ältesten Glücksspielen und waren schon im alten Rom bekannt. Viele Menschen zählen zu den Glücksspielen nur Spiele, bei denen es um Geld geht – Roulette, Lotto oder Poker.

Geschicklichkeitsspiele sind das Hütchenspiel oder im weitesten Sinne auch sportliche Spiele wie Minigolf oder Bowling. Auch hier geht es nicht nur um Glück. Die gute Kenntnis einer Fußball-Mannschaft reicht nicht aus, um den Ausgang eines Spieles vorauszusagen. Auch wenn man jede technische oder strategische Variable in eine Prognose mit einfliessen lässt – das Spiel selbst unterliegt immer den Gesetzen des Zufalls. Insofern ist auch der Wetterbericht nicht selten ein Glücksspiel, was die Sicherheit der Prognosen angeht.

Von der Freude am Zufall ist auch die Warenwelt erfasst worden: Das Überraschungsei als Spielzeug-Lotterie für Kinder lässt immerhin in jedem siebten Ei einen "Hauptgewinn" erwarten. Und die Wundertüte aus der Kirmesbude hat in den Warenhäusern Einzug gehalten.

Im weitesten Sinne als Glücksspiele kann man auch Orakelspiele bezeichnen, bei denen man per Zufall eine Auswahl von Karten oder Gegenständen trifft, anhand derer sich Aussagen über das eigene Leben ableiten lassen wie das Tarot oder das Gummibärchenorakel, bei dem man aus einer Tüte Gummibärchen mit verschlossenen Augen fünf Bärchen zieht und dann in einem Buch nachlesen kann, was die Farbkombination der Bärchen prognostiziert. Auch Horoskope haben Glücksspielcharakter, wenn sie von geschulten Astrologen anhand von genauen Daten ermittelt worden sind: Die Konstellation der Sterne ist der wohl älteste Würfel in der Geschichte der Menschheit und jeder Geburtstag ist ein Zufall, genau wie das Geschlecht und die Gene jedes Menschen vom Zufall bestimmt sind.

19. Die Sucht nach dem Glück

Wird das Lotto in einer Studie als augenzwinkernd als "Opium der Armen" bezeichnet, so kommt man nicht an einem Aspekt des Glücksspiels vorbei, der dazu führt, dass viele Spieler tatsächlich ein suchtähnliches Verhalten ausbilden und in einer Endlosschleife festhängen – die Glücksspielsucht. Beim Lotto, auf das 30 Prozent des Gesamtumsatzes aller Glücksspielanbieter entfallen, ist durch die Regeln des Spiels die Gefahr gering, ein Abweichendes Verhalten in Bezug auf die Höhe und Häufigkeit die der Einsätze zu entwickeln. Anders sieht es bei den Geldspielautomaten aus, die immerhin 21 Prozent des Glücksspielumsatzes ausmachen und bei den Spielbanken, auf die sogar 38 Prozent des Umsatzes entfallen. Ähnlich wie Arbeit oder Sport besitzt auch jedes belohnungsbasierte Glücksspiel ein Suchtpotential, das nicht zu unterschätzen ist. Wer einmal gewonnen hat, kann sich herausgefordert fühlen, es wieder und wieder zu versuchen. Es findet also eine Verhaltenskonditionierung statt, bei der der Spieler eine Verhaltensweise immer wieder ausführt, um eine Belohnung zu erhalten. Diese Belohnung muss nicht einmal der Gewinn selbst sein – es kann auch der Kick sein – oder das durch Glückshormone sich einstellende Gefühl, durch das Einwerfen einer Münze in einen Geldautomaten oder das Ausfüllen eines Wettscheins eine potentielle Chance auf Reichtum erkannt zu haben und wahrzunehmen.

Oft verlieren die Spieler nach einiger Zeit jeglichen Realitätsbezug und "wachen erst auf", wenn sie hochverschuldet sind oder aus ihrem Spielzwang nicht mehr herauskommen. Wie bei allen nicht-substanzabhängigen Süchten kann eine Verhaltenstherapie dabei helfen, die Handlungskette aufzubrechen, das eigene Suchtverhalten einer kritischen Betrachtung zu unterziehen und Handlungsalternativen zu suchen.

Im Bereich der Bewusstseinsmanipulation ist die Gefahr, ein süchtiges Verhalten zu entwickeln, noch viel größer, auch wenn viele Drogen heute stärker toleriert werden. Besonders bei den psychoaktiven Substanzen gab es unlängst Diskussionen, man betrachte nur einmal die Debatte im die Legalisierung weicher Drogen oder die heute alltägliche Praktik, auf großen Events den Ecstasy-Konsumenten wenigstens die Möglichkeit zu offerieren, ihre Pillen eines chemischen Tests zu unterziehen, um gesundheitlichen Schäden durch überdosierte Präparate präventiv zu begegnen, wenn man den Konsum schon nicht verbieten kann. Als "Glückspillen" bezeichnete Medikamente wie "Fluctin" können ebenso wie die stimmungsaufhellende Drogen wie Morphine, Barbiturate, Alkohol, Kokain, Cannabis, Amphetamine, Halluzinogene oder neuartige Designerdrogen zur Beeinflussung des körpereigenen Binnenzustandes gebraucht und missbraucht werden, wobei die daraus resultierenden bewusstseinsverändernden Erlebnisse nicht selten den Eskapismusmotiven der Konsumenten entgegen kommen.

Dass der Weg in die Sucht auf Dauer nicht glücklich macht, lässt sich an Gesichtspunkten wie der Notwendigkeit zur ständigen Steigerung der Dosis und Entzugserscheinungen festmachen. Auch soziale Ausgrenzung und körperliche Langzeit-Schäden sind vom innerlichen verursachten subjektiven Glücksempfinden wieder zu subtrahieren - bei Alkohol und Zigaretten eher als bei Techno-Drogen und Tabletten. Im Trend liegt gerade das amerikanische Antidepressiva "Procaz": 40 Millionen Menschen schlucken auf diese Art ihre depressive Stimmung einfach herunter. Eine Tabugrenze existiert nur noch offiziell: In Deutschland gibt es die Pille nur auf Rezept.

Dass man auch ohne Drogen glücklich sein kann, darauf verweist ein Buch von Eckhart Schiffer: "Warum Huckleberry Finn nicht süchtig wurde". Schon der Titel erinnert an Diogenes, der mit seiner Tonne glücklich war und nur einen einzigen Wusch hatte "Geh mir aus der Sonne!" Das Werk gibt einen interessanten Einblick in die Drogenprobleme unserer Gesellschaft und zeigt, dass Weltflucht durch chemische Präparate auch immer eine Reaktion auf die Lebensverhältnisse und Missstände einer Gesellschaft ist. Huckleberry Finn konnte seine Träume ausleben und hatte Spielräume, die viele Kinder und Jugendliche vor allem im städtischen Milieu heute vermissen. Glück hat also auch immer etwas mit Entfaltungsmöglichkeiten zu tun und die sind durch eine Expansion des Möglichkeitsraumes innerhalb der Erlebnisgesellschaft nicht zwangsläufig gegeben.

20. Glück passiert im Kopf

Glückserlebnisse haben meist den Charakter eines Ausnahmezustandes. Sie sind zeitlich begrenzt. Niemand kann permanent glücklich sein. Wenn wir die Glücksdosis ständig steigern, wissen wir – ähnlich wie bei einer Droge - das Gefühl nicht mehr zu schätzen. Es gibt keine dauerhafte Glücksempfindung, genauso wenig, wie es ein dauerhaftes Fest gibt. Glückmomente sind Höhepunkte im Leben, die man sich in Form von schönen Erinnerungen bewahren kann. Und ähnlich wie bei künstlichen Rauschzuständen durch Drogen müsste man den Glückshahn immer weiter aufdrehen, um ein permanentes Glückserlebnis noch als solches zu empfinden. Hier wird deutlich, dass das, was wir "Glück" nennen, sich in unserem Kopf abspielt, denn neben den Eigenschaften, die wir als Anlage ererbt und als Umwelt erworben haben, spielen bei der "Fähigkeit, Glück zu empfinden", auch die biochemischen Reaktionen in unserem Gehirn eine große Rolle. Vor allem der limbische Teil ist für Glückserlebnisse verantwortlich. Hier existieren besonders viele Rezeptoren, an die Endorphine – Glückshormone – andocken können.

Die allgemein bekannte Vorstellung, dass Dopamin der Botenstoff des Glücks und der Freude ist, lässt sich aufgrund der neuesten Befunde der Hirnforschung dahingehend revidieren, dass "Dopamin wichtig ist bei der Erwartung einer Belohnung sowie für die Auswahl und Aktivierung von Verhaltensprogrammen, die zur Erfahrung von Belohnung führen. Beim Konsum der Belohnung und möglicherweise für das subjektive Erleben, also dem Empfinden des eigentlichen Glücksgefühls, spielt dieser Botenstoff wohl eher eine untergeordnete Rolle. Für die eigentlich hedonistische Komponente von Belohnung, also quasi das Empfinden der Freude oder des Glücks, sind wahrscheinlich körpereigene Opiate, die im Neocortex wirken, wichtig. Auch die Beteiligung der Neurotransmitter Serotonin und Noradrenalin wird gerade diskutiert.

21. Abstumpfung durch Überfluss

Insgesamt ist ein gesellschaftlich bedingter Trend zur ständigen Steigerung, Vermehrung und Verdichtung von Glücksmomenten auszumachen, der im traditionellen Fortschrittsdenken seine Wurzeln hat. Glückskonzepte werden wie Maschinen oder Arbeitsabläufe vermessen, konzentriert und optimiert. Es gibt nicht nur mehr Erlebnismittel, sondern auch solche, die mit weniger Zeitaufwand die gleichen Resultate liefern und solche, die als Neuheit oder "verbessert" mehr Glück versprechen. Hier sei noch einmal die Werbung genannt, wo es ständig "verbesserte Rezepturen" oder "neue" Versionen schon mal da gewesener Produkte gibt.

Die Glücksuche über Erlebnisse ist aber auch problematisch und anstrengend. Das spiegelt sich durch neue Wortschöpfungen wie "Freizeitstress" wieder. Je mehr Erlebnismöglichkeiten vorgegeben sind, desto mehr stumpft der Konsument ab. Und die Erlebnisrationalität ist von einem ständigen Enttäuschungsrisiko begleitet. Der gesellschaftliche Zwang zur Glücksuche wird vor allem durch die Massenmedien vermittelt, die sich an neuen Glückskonzepten nahezu gegenseitig überbieten.

Die Menschen werden jedoch trotz eines Mehr an Möglichkeiten nicht glücklicher, was auch die Meinungsforschung der vergangenen 50 Jahre bestätigt. Die Glücks- und Zufriedenheitsraten sind trotz des gesteigerten Wohlstandes nicht höher als vor 40 Jahren. In einer aktuellen Untersuchung bezeichnen sich 20,2 Prozent der Befragten als sehr glücklich, mehr als die Hälfte als glücklich, und ein Sechstel als "weder glücklich noch unglücklich". Bemerkenswert ist, dass über 80 Prozent davon überzeugt sind, dass man sich sein Glück erarbeiten muss. Die Spitzenplätze auf die Frage, was glücklich macht, teilen sich Freundschaft, Familie, Liebe und Freizeit mit Zustimmungswerten über 90 Prozent.

Heutzutage wird immer häufiger der Verzicht zum Trend. Begriffe wie "Heilfasten" oder "autofreier Sonntag" zeigen, dass Konsumgüter oder Gewohnheiten dann wieder glücklich machen, wenn man sie eine Zeit lang entbehrt hat. Viele Familien verzichten an Weihnachten auf die Bescherung, um den Grundgedanken des Festes in den Mittelpunkt zu stellen und zu zeigen, dass Glück nicht unbedingt im Überfluss liegt.

Auch Schulzes Idee von der modernen Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland zeichnet das Bild einer Überflussgesellschaft. Er theoretisiert den Überfluss im Gegensatz zur "klassischen" Soziologie, die von Marx über Habermas und Dahrendorf bis in die Gegenwart immer eine "eine Mangel- und Knappheitswirtschaft" war. Da nicht mehr das Überleben, sondern das Erleben in den Mittelpunkt des Lebens getreten ist, sind die alte Statussymbole, die auf dem Besitz von Gütern basierten, abgelöst worden von einer Betrachtungsweise, die alle Ereignisse auf ihren Erlebniswert hin untersucht."

Bellebaum schließt sich hier Schulzes These vom erlebnisrationalen Handeln an, indem er sagt: "Was man besitzt, verliert leicht seinen Reiz. Darum - und das ist keine billige Kulturkritik - jagen viele immer stärkeren Genüssen hinterher. Man geht heute nicht mehr einkaufen, sondern erlebniskaufen. Man geht auch nicht mehr schwimmen, sondern ins Erlebnisschwimmbad, aber die Freude und das Glück sind nicht von Dauer." Trotzdem warnt er vor allgemeinen Aussagen über die moderne Gesellschaft.

Und genau so, wie der Wunsch oft der Vater des Gedankens und der Weg oft das Ziel ist, sind auch Träume meist dann am schönsten, wenn sie Träume bleiben. So formulierte Schopenhauer: "Zwischen Wille und Erreichen fließt nun durchaus jedes Menschenleben fort. Der Mensch ist, seiner Natur nach Schmerz: Die Erreichung (von etwas) gebiert schnell Sättigung: Das Ziel war nur scheinbar: Der Besitz nimmt den Reiz weg: Unter einer neuen Gestalt stellt sich der Wunsch, das Bedürfnis wieder ein. Wo nicht, so folgt Öde, Leere, Langeweile, gegen welche der Kampf ebenso quälend ist, wie gegen die Noth."

22. Der kollektive Weg zum Glück

Müller Schneider prognostiziert uns einen kollektiven Lernprozess, durch den wir die Fixierung auf die Suche nach Glückserlebnissen dadurch überwinden, dass wir unsere innerliche Motivation auf Tätigkeiten ausweiten, die erst auf den zweiten Blick glücklich machen, wie etwa Engagement im sozialen Bereich oder der Versuch, Glück dadurch zu erzielen, dass man versucht, die Leute im privaten Umfeld glücklich zu machen oder die gemeinsamen Glückserlebnisse einer sozialen Gruppe zum "Wohl der Gemeinschaft" über das individuelle Glückserleben stellt. 41 Prozent der Deutschen sind glücklich, wenn sie "Gutes tun und anderen helfen" können. Diesen Gedanken greift auch Eckart Panoke auf, indem er die "Alterität des Glücks" in der Tradition der Sythemtheoretiker unter dem Begriff "Felicitas" zusammenfasst: "Persönlichkeit aber erkennt sich nur über die Spiegelung anderer Menschen." sagt er. "Glück" sei die glückende Geselligkeit oder die geglückte Begegnung: "Das Glück der Intersubjektivität verdichtet sich in den höchstpersönlichen Beziehungen von Freundschaft und Liebe." An die alteuropäische Vorstellung, dass sich Glück durch die Spiegelung im Anderen erst erfahren lässt, sollte später die Liebes-Semantik anknüpfen."

Eine weitere Form altruistischen Glücks und vorausschauenden Handelns findet man im Geben und Schenken. Schon Adorno spricht in seiner "Minima Moralia" davon, dass Schenken glücklich macht. Wir schenken nur den Leuten etwas, die uns etwas bedeuten. Sie müssen uns sympathisch, wenn nicht sogar besonders ans Herz gewachsen sein. Dadurch, dass wir uns vorstellen, dass der Beschenkte glücklich auf das Geschenkte reagiert, macht Schenken auch den Geber glücklich. Besonders, wenn das Schenken überraschenderweise, also ohne einen speziellen Anlass - Geburtstag, Hochzeit oder Weihnachten - geschieht.

Wenn man Glück gemeinsam mit anderen Menschen erlebt, erfährt man es intensiver, als wenn man alleine glücklich ist. Sigmund Freud hat es so formuliert, dass die Kultur ein Weg sei, "mit Allen am Glück Aller" zu arbeiten. Im gemeinsamen Tun offenbart sich etwas, das mehr als die Summe seiner Teile ist. Natürlich spielen hier auch Aspekte wie Selbstbestätigung oder die Suche nach sozialer Orientierung eine Rolle. Festzustellen ist jedenfalls, dass Teamaspekte nicht nur im Sport- und Freizeitbereich, sondern auch im Arbeitsleben die Individualität "positiv begrenzen", um gemeinsam Ziele zu erreichen, die glücklich machen. Dies geht auf der anderen Seite zu Lasten der Selbstentfaltung des Individuums, dass seine Ziele und die institutionalisierten Mittel denen der Gruppe anpassen muss, solange es als Mitglied dieser Gruppe respektiert werden möchte. Traditionen finden hier erneut Beachtung - im ländlichen Milieu stärker als im städtischen - und beim Sieg der eigenen Fußballmannschaft oder beim Auftritt des eigenen Musikvereins taucht das totgesagte traditionell-kollektive Erleben zeitweise wieder auf und das postmoderne Individuum lässt das Wort "wir" erneut in seinem Alltagswortschatz Platz finden. Auch die Selbstdefinitionen und ausformulierten Satzungen von Vereinen und institutionalisierten Gruppen setzen ihren Fokus auf das gemeinsame Erreichen von Zielen.

Glücks- und Erlebnissuche findet - und das hat auch Riesman schon festgestellt - also auch in der Gegenwart weiterhin im Rahmen der Traditionsstrukturen und Gruppengrenzen statt, in denen wir leben: "Indeed, the term ´tradition-direction´ could be misleading if the reader were to conclude that the force of tradition has no weight for the inner-directed character. On the contrary, he is very considerably bound by traditions: They limit his ends and inhibit his choice of means. The point is rather that a splintering of tradition takes place, connected in part with the increasing division of labor and stratification of society. Even if the individual´s choice of tradition is largely determined for him by his family, as it is in most cases, he cannot help becoming aware of the existance of competing traditions - hence of tradition as such. As a result he possesses a somewhat greater degree of flexibility in adapting himself to ever changing requirements and in return requires more from his environment."

23. Fazit: Glück ist das, was glücklich macht

Was Glück im Endeffekt ist, kann man nicht genau sagen. Was glücklich macht, lässt sich zwar empirisch messen, jedoch nicht in wenigen Sätzen zusammenfassen. Wenn man eine Arbeit über solch ein allgemeines und offenes Thema verfasst, ist man sehr schnell versucht, alles durch die "Glücksbrille" zu sehen. Man könnte die ganze soziale Welt dahingehend ordnen, ob und inwieweit sie ihr Glücksversprechungen hält.

Die gegenwärtige Forschungslage innerhalb der Sozialwissenschaften zeigt, dass es keine allgemeine Antwort auf die Frage gibt, was Glück verursacht : "Instead, there is a complex interplay between genes and environment, between life events and circumstances, culture, personality, goals and various adaption and coping strategies" (Richard Eckersley).

"Ich definiere das Glück nicht", sagt auch Alfred Bellebaum, "für mich ist Glück das, was sich Menschen unter Glück vorstellen." Aufgrund der langen Tradition der Behandlung des Themas innerhalb von Philosophie, Politikwissenschaft, Geschichtswissenschaft, Literatur und Bildender Kunst kommt einem "Institut für Glücksforschung" somit primär die Aufgabe zu, die ganze Bandbreite der außer- und innerwissenschaftlichen Betrachtungen des Themas Glück zu beleuchten und für die Allgemeinheit zugänglich zu machen. Da Glück einen geschichtlichen Index hat, also lernbar, tradierbar und durch weitergegebene Erfahrungen optimierbar ist, ist es nicht nur für Sozialwissenschaftler von Vorteil, Erkenntnisse darüber zu gewinnen: Auch für das individuelle und kollektive Glücksmanagement innerhalb der Lebenspraxis lassen sich Konsequenzen ableiten.

Aristoteles verstand unter Glück eine vernunftgemäße Lebensweise. Das hat aber mit dem Glück der Psychotikerin, die nach einem Klinikaufenthalt erstmals ihr Kind wieder sieht, nicht das Geringste zu tun! Es gibt so unterschiedliche individuelle und gesellschaftlich vermittelte Glücksvorstellungen, dass alle Versuche, zu einer verbindlichen Definition zu kommen, fehlschlagen müssen. Also ist es die Aufgabe jedes Einzelnen, sein Glück dort zu suchen, wo er es vermutet. Allgemeinverbindliche Glücksrezepte gibt es genauso wenig, wie allgemeinverbindliche wissenschaftliche Definitionen. Glücksversprechen können sich als leere Vorstellungen entpuppen und wenig Glück verheißende Vorhaben können Überraschungen bergen. Selbst auf der Suche nach dem Glück spielt das Glück selbst beim Erreichen von Zielen immer eine Rolle. Letztendlich ist es primär die persönliche Lebenserfahrung des Einzelnen, die dem Menschen zu einer Auffassung verhilft, was Glück ist.

24. Literaturliste

Gerhard Schulze: Die Erlebnisgesellschaft. Kultursoziologie – Essay. In: Aus Politik und Zeitgeschichte. Das Parlament, (B12/ 2000), S. 3-6
Gerhard Schulze: Die Erlebnisgesellschaft. Kultursoziologie der Gegenwart, Campus Verlag, Frankfurt (1992)
Hans-Peter Müller: Gerhard Schulze: Die Erlebnisgesellschaft (Rezension). KZfSS 45 (1993), S. 778.

Thomas Müller Schneider: Die Erlebnisgesellschaft – der kollektive Weg ins Glück? In: Aus Politik und Zeitgeschichte. Das Parlament, (B 12/ 2000), S. 24ff.

Kaspar Maase: Spiel ohne Grenzen "Von der Massenkultur zur Erlebnisgesellschaft": Wandel im Umgang mit populärer Unterhaltung, In: Politik des Vergnügens, Zur Diskussion der Populärkultur in den Cultural Studies, Udo Göttlich, Rainer Winter, Herbert von Halem Verlag, März (2002), S. 75-102

Alfred Bellebaum (Hg.): Glück: Erscheinungsvielfalt und Bedeutungsreichtum. In: Glücks-forschung. Eine Bestandsaufnahme. UVK Verlagsgesellschaft, Konstanz (2002), S. 13-42.
Alfred Bellebaum und Barheier, Klaus (Hg.): Glücksvorstellungen: Ein Rückgriff in die Geschichte der Soziologie. Westdeutscher Verlag, Opladen (1997)
Alfred Bellebaum, Braun, Hans und Groß, Elke (Hrsg.): Staat und Glück - Politische Dimensionen der Wohlfahrt. Westdeutscher Verlag, Opladen (1998)

David Riesman (with Nathan Glazer and Reuel Denney): The Lonely Crowd - A Study of the changing American character, Yale University Press, New Haven & London, (1950), S. 47ff, 134ff, 218ff

Eckart Müller-Bachmann "Jugendkulturen revisited! Musik- und stilbezogene Vergemeinschaftungsformen (Post-)Adoleszenter im Modernisierungskontext", Münster (2002)

Claudia Ritter: Lebensstilbildung und Zivilisierung. In: Schwenk, Otto G. (Hrsg.): Lebensstil zwischen Sozialstrukturanalyse und Kulturwissenschaft. Opladen (1996), S. 78.

IDA (Allensbacher Jahrbuch der Demoskopie 1998-2002), Institut für Demoskopie München/Allensbach (2002), Seite 36 und 35

das baugerüst - Zeitschrift für Jugend- und Bildungsarbeit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der evangelischen Jugendarbeit und außerschulischen Bildung (2/2003) Ausgabe zum Thema "Glück", herausgegeben vom Verein zur Förderung evangelischer Jugendarbeit, Nürnberg
DS – Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt, (5/ 1999) DS-Reihe: Glück
"Was man besitzt, verliert den Reiz", Interview mit Alfred Bellebaum von Monika Goetsch
Time Magazine, Ausgabe Januar 2005, "The Science of Happiness"
Allegra – August 2005 "Alles Glückssache?” Jens Eichler Verlag, Hamburg

www.wertvoll-medien.de/reports/glueck.html
www.letssingit.com
www.gluecksarchiv.de
www.gekauftesglueck.de

25. Erklärung der Verfasserin

Hiermit erkläre ich, dass ich diese Hausarbeit selbständig verfasst habe. Alle Zitate sind durch Quellenangaben kenntlich gemacht und die verwendete Literatur vollständig im Anhang aufgeführt.

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Sandra Roth

26. Zum Schmunzeln

Aus einer Email von Verena Gleich vom AStA an alle Studierenden der Universität Trier vom Freitag, 21 Oktober 2005:

" Nachdem der AStA der Universität Trier in seiner unendlichen Weisheit der Christlichen Hochschulgruppe (CHG) exemplarisch für alle religiös interessierten und organisierten Studierenden mit partiell offensichtlichen, unproblematischen Inhalten einen Persilschein für Präsentation und Anwerbung im Rahmen von In Formationsveranstaltungen innerhalb der Orientierungswoche der Studierendenschaft erteilt hat, ergeht nun folgende Einladung:

Das Referat für Hochschulpolitik lädt alle religiösen Hochschulgruppen der Universität Trier ein, einen In Formationsstand am Markt der Möglichkeiten im A/B-Foyer vom kommenden Montag bis Donnerstag, 24.-27.10., 10-16 Uhr aufzustellen und ihre jeweiligen Heilsversprechen an die Frau/den Mann zu bringen.

Wir wünschen allen an diesem Prozess Beteiligten alles Gute und vor allem viel Segen!"

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